FILM.KRITIK


***** hervorragend **** sehenswert *** Licht und Schatten

** nur bedingtes Vergnügen * überflüssig


Das schweigende Klassenzimmer ***

Regie: Lars Kraume / Drehbuch: Lars Kraume (nach dem gleichnamigen Buch von Dietrich Garstka)

D 2018 / Laufzeit: 107 Minuten

mit: Michael Gwisdek, Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld u.v.a.

 

Im Jahr 2017 ist Regisseur Lars Kraume auf den zeitgeschichtlich interessanten Stoff, d.h. auf die Dokumentation von Dietrich Garstka gestoßen und hat sich entschlossen - nach seinem Erfolg mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ -, daraus einen Film zu machen, der ein Jahr später bei der Berlinale seine Weltpremiere hatte.

Die Geschichte von der DDR-Schulklasse, die gegen die sowjetische Besatzung in Ungarn protestierte und der zur Strafe das Abitur verweigert wird, erfährt in der Verfilmung eine deutliche Veränderung durch die Methoden der Raffung und Dramatisierung, was aber als mediengerecht und zuschauerorientiert akzeptiert werden kann. Kraume, der auch für das Drehbuch verantwortlich ist, konzentriert sich auf fünf SchülerInnen (jetzt heißen sie Theo, Kurt, Lena, Erik und Paul), bei denen noch ein emotionales Dreiecks-Problem zwischen Theo, Kurt und Lena implementiert wird.

Die Charakterisierung der Eltern sorgt für zusätzliche Dramatik: Theos Vater (Ronald Zehrfeld) hat am 17. Juni 1953 an den Arbeiter-Protesten in der DDR teilgenommen, sich dann aber wieder mit dem System arrangiert. Kurts Vater (Max Hopp) ist linientreuer SED-Funktionär, der die Vorgänge in Ungarn als antisozialistische, vom Westen gesteuerte Konterrevolution bezeichnet. Eriks Vater (und Vorbild) war beim Roten Frontkämpferbund, hat aber in der Endphase der NS-Zeit mit den Nazis kollaboriert und wurde von den Kommunisten 1945 als Verräter hingerichtet. Paul hat schließlich einen Großonkel namens Edgar (Michael Gwisdek) bekommen, der als kauziger (schwuler Nacktbader!) Außenseiter gezeigt wird und bei dem Schüler den Sender RIAS hören können. Man merkt also, dass hier schon kräftig mit der Schwarz-Weiß-Tube gearbeitet wurde und manche Differenzierung auf der Strecke bleibt.

Auch die handelnden SED-Genossen sind recht grob gestrickt: Volksbildungsminister Lange - markig gespielt von Burghart Klaußner - („Wer gegen den Sozialismus ist, den haue ich in die Fresse“) und Bezirksleiterin Kessler (Jördis Triebel) entsprechen letztlich dem Klischee, das man von DDR-Funktionären hat.

Ort der Handlung ist nicht mehr die 5000-Einwohner-Kleinstadt Storkow sondern die Arbeiter-Planstadt Stalinstadt, die später wieder im Zuge der Entstalinisierung zu Eisenhüttenstadt wurde.

Die spannende Geschichte „über Mut, Zusammenhalt und den Kalten Krieg“ (so Dietrich Garstka im Untertitel seiner Dokumentation) bekommt einen symbolischen Rahmen: am Anfang und am Ende fahren Schüler mit der S-Bahn von Ost- nach Westberlin - damals noch möglich! Im Intro sind es nur Theo und Kurt, die das Grab von Theos Großvater mütterlicherseits besuchen und sich dann in einen Kino-Film schleichen, wo sie von den Wochenschau-Nachrichten über die Vorgänge in Ungarn gefesselt sind und politisiert werden. Am Ende des Films trifft sich die ganze Klasse (zufällig?) im Abteil und flieht nach Westberlin. Im Nachspann erfolgt der Hinweis auf das erfolgreiche Abitur 1957 an einem hessischen Gymnasium.

Autor Garstka, der kurz nach der Premiere gestorben ist, war mit dem Film zufrieden („alles treffsicher“), für heutige Schüler im Fach Politische Bildung und Zeitgeschichte wäre als Teil der Film-Analyse die Frage zu empfehlen, was der Unterschied des schweigenden Klassenzimmers zu den Unterrichts-Streiks der Fridays-for-Future-Bewegung ist.

 

https://www.arthaus.de/detailsuche?q=Das+schweigende+Klassenzimmer

https://www.klett-sprachen.de/drehbuch-das-schweigende-klassenzimmer/t-1/9783126661720


Der Nachname **

Regie: Sönke Wortmann / Drehbuch: Claudius Pläging

D 2022

Laufzeit: 87 Minuten

mit: Iris Berben, Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz u. a.

 

Der zweite Teil der Geschichte der Familie Böttcher kämpft von Anfang an mit dem Faktum, das Aufgewärmtes selten besser schmeckt. Kommerziell ist es nachvollziehbar, dass man zu dem Kassenerfolg „Der Vorname“ (2018) einen Nachfolger konstruieren wollte. Doch schon der auslösende „Skandal“ ist nur noch ein laues Lüftchen. Hatte beim adaptierten französischen Kammerspiel der Vorname Adolf für ein erwartetes Kind soliden provokativen Charakter, so ist nun die Frage, welchen Nachnamen sich Oma Dorothea Böttcher (Iris Berben) nach ihrer Heirat mit dem eigenen Adoptivsohn Rene König (Justus von Dohnanyi) zulegen wird, ein arg gekünstelter Auftakt. Das haben wohl auch Regisseur Sönke Wortmann und besonders Drehbuchautor Claudius Pläging gemerkt und daraus den Schluss gezogen, dass in der Folge etwa alle fünf Minuten ein neues peinliches Geheimnis des Böttcher-Sextetts zerredet werden muss. Diese Leichen, die bei allen im Keller müffeln, sind aus halbwegs aktuellen privaten oder gesellschafts­politischen Debatten extrahiert: Viagra und Pille, schwuler Sportlehrer und lesbische Leihmutter, Haschisch-Plätzchen und selbst angebauter Wein, offene und verlogene Zweier-Beziehungen.

Die Kleinbürger-Komödie wurde diesmal von Köln auf die Vulkaninsel Lanzarote verlegt, wo sich statt harmonischem Familientreffen ein permanenter Erregungszustand einstellt, wo minütlich am Altar des Gottes des Gemetzels ein Opfer gebracht wird und fincalauernde Dialoge abgespult werden. Dies alles geht dann schon sehr in Richtung „Fuck you, family 4“ und kommt einem so gar nicht spanisch, sondern recht deutsch-bieder vor. Nur manchmal scheint bei den Streit-Momenten zwischen dem Literaturprofessor Stefan (Christoph Maria Herbst) und seinem Schwager, dem Erfolgs-Manager Thomas (Florian David Fitz), etwas von der alten Bissigkeit durch. Anstatt einer Wutrede von Caroline Peters (brillant in „Der Vorname“) wird das Ende durch einen moralinsauren Monolog von Iris Berben, einem Plädoyer für die unperfekte Familie als gute Familie, eingeläutet und dadurch sogar ein idyllisches Happy End ermöglicht: auf Lanzarote entsteht eine fünfköpfige deutsch-spanische Patchwork-Familie. Und Christoph Maria Herbst bekommt am letzten Ferientag sogar noch seinen verloren gegangenen Reisekoffer zugestellt - vermutlich per Nachnahme!

Für Teil 3 darf hier noch ein extrem erfolgversprechender Vorschlag lanciert werden: Oma Dorothea stirbt an einer Überdosis, die Familie kommt zur Beerdigung und zum deftigen Leichenschmaus noch einmal auf die Insel. Titel: „Die Anteilnahme“!

 

https://www.constantin-film.de/kino/der-nachname/


Der Palast   ****

Regie: Ulli Edel / Drehbuch: Rodica Doehnert

mit: Svenja Jung, Heino Ferch, Anja Kling u. v. a.

ZDF (Januar 2022) / 3x 90 Minuten

 

Nach Babylon Berlin, Hotel Adlon, KuDamm 56 und KaDeWe ist nun der Friedrichstadt-Palast Schauplatz eines TV-Mehrteilers. Am 3., 4. und 5. Januar 2022 saßen bei der Ausstrahlung des sogenannten „Event-Dreiteilers“ durchschnittlich jeweils 6,23 Million Zuschauer vor dem Apparat, in der ZDF-Mediathek gibt es bislang ca. 7,5 Millionen Aufrufe für die sechs 45-Minuten-Happen. Der geteilte Medien-Himmel über Berlin zeigt sich also von seiner volkstümlichen und massentauglichen Seite.

Doch Vorsicht mit vorschneller, elitärer Kritik und Stirnrunzelei! Denn dem Team um Regisseur Ulli Edel und Drehbuchautorin Rodica Doehnert ist es gelungen, eine hoch-emotionale Geschichte zu erzählen, mit der deutsch-deutsche Befindlichkeiten im Zeitraum 1960 bis 1990 treffend veranschaulicht werden. Kritiker werden die Worte „plakativ“ und „holzschnittartig“ in dem Mund nehmen, werden von einer Mischung aus DDR-Flashdance und Guido-Knopp-Doku sprechen, liegen damit aber falsch! Das Medium erlaubt keine andere Herangehensweise und das Statement der Drehbuchautoirin Doehnert trifft den Punkt: historische Inhalte erreichen ihre Wirkung beim Zuschauer erst, wenn sie in einen universalen menschlichen Plot gebunden werden. Dazu: die Komplexität des deutschen Ost-West-Dilemmas kann in Fachbüchern trefflich über Hunderte von Seiten ausgebreitet werden, im Film benötigt es stimmige Typen, die das argumentative Geflecht auf den Punkt bringen. Und so gibt es eben die West-Familie Wenninger und die Ost-Familie Steffen, verknüpft durch das doppelte Lottchen Marlene und Christine und deren dramatisches Agnorisis-Erlebnis.

Man lernt aus dem Mehrteiler so allerhand über die deutsch-deutsche Geschichte; über die höchst unterschiedlichen Startbedingungen in Ost und West, über Elitenkontinuität in der Bundesrepublik und über den dogmatischen Sozialismus in der DDR. Gleichzeitig erfährt man allerhand über die Geschichte und über die inneren Strukturen des Friedrichsstadt-Palasts, jenem ambitionierten Versuch der DDR auf der Bühne der leichten Weltkultur anerkannt zu werden. Svenja Jung spielt mit großer Überzeugung die Ost-West-Zwillinge, kann tanzen, kann das teil-emanzipierte Frauenbild in der DDR verkörpern genauso wie den selbstkritischen Unternehmer-Nachwuchs in der BRD. Das geteilte Ehepaar findet in Anja Kling (verunsichert) und Heino Ferch (zunächst grobschlächtig) adäquate Darsteller. Die Produktion (Oliver Berben) ist aufwändig und durchwegs unterhaltsam. Die Klischees finden sich eher in den Nebenrollen, erreichen aber niemals den Status der Banalität.

Die Eurythmie, eine Bewegungskunst, bei der auch Namen getanzt werden, wird ausschließlich an Waldorfschulen im Westen als reguläres Pflichtfach unterrichtet. Mit dem Film „Der Palast“ wurde nun auch bewiesen, dass man Geschichte tanzen kann!

 

https://www.zdf.de/serien/der-palast


Green Book (USA 2018)   ****

Regie: Peter Farrelly

Laufzeit: 130 Minuten

mit: Viggo Mortensen, Mahershala Ali u. v. a.

 

Irgendwie kommt einem das Motiv bekannt vor: zwei Männer mit unterschiedlicher Hautfarbe, höchst unterschiedlichem kulturellem Niveau und diametral entgegengesetzter Sprachkompetenz treffen in einem Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis aufeinander, beginnen langsam Empathie für den jeweils anderen zu entwickeln und werden am Ende „ziemlich beste Freunde“.

So etwas erlebten Francois Cluzet als Philippe und Omar Sy als Driss 2011 in dem gleichnamigen Film, sieben Jahre später taucht das Rollenmuster mit Viggo Mortensen als Tony Vallelonga und Mahershala Ali als Don Shirley in „Green Book“ (deutscher Untertitel: Eine besondere Freundschaft) wieder auf. Auffällig: beide Film-Geschichten beruhen auf wahren Begebenheiten und realen Personen.

Peter Farrelly, dessen bisherige Filmografie am ehesten mit dem Titel „Dumm und Dümmer“ charakterisiert wird, hat sich hier wirklich angestrengt, zusammen mit Nick, dem Sohn des realen Tony Vallelonga, ein munteres Drehbuch gestrickt und eine unterhaltsame Mischung aus Roadmovie, Musikfilm und Tragikomödie über den Alltagsrassismus in den USA der frühen 60er Jahre komponiert.

Die beiden Hauptpersonen könnten unterschiedlicher nicht sein: Tony (Nickname: „The Lip“) ist ein prolliger Italoamerikaner aus der Bronx, der als Rausschmeißer im Copacabana-Club arbeitet, viel raucht und frisst und eine Heimat in seiner mafiösen Großfamilie gefunden hat. Er liebt seine Frau und die zwei Kinder, aber wenn zwei „Neger“ in ihrer Wohnung als Handwerker Wassergläser anfassen, entsorgt er diese (die Gläser!) lieber im Mülleimer. Dr. Don „Doc“ Shirley ist ein hochintellektueller Klassik- und Jazz-Pianist, der wie ein afrikanischer König in einer Luxus-Wohnung direkt über der Carnegie-Hall residiert. Für seine von der Plattenfirma anberaumte Tournee mit dem Don Shirley Trio, die ihn in die Südstaaten führen wird, sucht er einen Chauffeur, der gleichzeitig als Bodyguard einspringen kann. Und weil Tony wegen Renovierungsarbeiten im „Copacabana“ gerade ohne Arbeit ist, kommt ein ungewöhnliches Vertragsverhältnis zwischen den beiden zustande.

Mit einem pfefferminzgrünen Cadillac starten sie in den Süden und erleben einen wechselseitigen Lernprozess. Sie diskutieren über Ernährungsfragen, Umgang mit Rassismus, über „schwarze“ Musik und immer wieder über die Frage, wer von den beiden eigentlich mehr diskriminiert wird. Als Reiseführer für „negro motorists“ haben sie das titelgebende Green Book dabei, denn Dr. Shirley wird von den reichen Weißen zwar als Künstler hofiert, als Farbiger aber immer wieder ausgegrenzt. Beim letzten Auftritt in Memphis kommt es zum Eklat: weil Shirley nicht in dem Restaurant essen darf, in dem er später auftreten soll, verlässt er die Location und feiert stattdessen eine wilde Jam-Session mit schwarzen Musikern.

Der Film endet wie ein kitschiges Weihnachtsmärchen: durchs Schneetreiben des 25. Dezembers wühlen sich die beiden zurück nach New York, wo Shirley nach kleineren Umwegen in die feiernde Italo-Familie integriert wird. Alles Pasta?  Zumindest vermittelt „Green Book“ die Hoffnung, dass rassistische Vorurteile durch persönliche Erfahrungen abgebaut werden können. Dafür gab es auch das Prädikat „bester Film“ bei der Oscarverleihung und den Golden Globe Awards 2019!

 

https://www.youtube.com/watch?v=eXrBmOUT9KE


Schachnovelle (D 2021)    **

nach der Novelle von Stefan Zweig

Regie: Philipp Stölzl

Laufzeit: 111 Minuten

mit: Oliver Masucci, Albert Schuch, Birgit Minichmayr u.v.a.

 

Von einem schweren Verkehrsunfall ist zu berichten: auf der A9 kurz vor München wurde ein graziles Taschenbuch (Stefan Zweig, Schachnovelle) von einem Schwerlastwagen brutal überfahren. Das Buch erlitt Totalschaden, der Lenker des Lastwagens, ein Herr Philipp Stölzl, musste zugeben, dass er im Größenwahn die Subtilitätsbremse zu spät getreten hatte. Außerdem stellte die Film-Polizei fest, dass der Lastwagen vollkommen überladen war - mit hyperdramatischer Action, mit ungebändigter Assoziationswut und mit einer vordergründigen, spektakulär sein wollenden Bildsprache.

Es war die letzte vollständige Prosa-Arbeit von Stefan Zweig vor seinem Selbstmord, 1942 in Brasilien: eine posthum erschienene klassisch gestrickte Novelle, die auf ein besonders Ereignis zielt: auf die zwei Schachpartien zwischen dem Weltmeister Czentovic und dem österreichischen Emigranten Dr. B. auf einem Passagierdampfer, der von New York nach Buenos Aires unterwegs ist. Dabei enthüllt sich rückblickend die Vorgeschichte von Dr. B., der nach dem Anschluss Österreichs in Gestapo-Einzelhaft kam und dem drohenden Wahnsinn nur dadurch entfliehen konnte, dass er ein Schachbuch in sein Zimmer schmuggelte und Großmeister-Partien mit aus Brotklumpen gefertigten Figuren auf dem Badezimmer-Fußboden auswendig lernte und nachspielte. Eine Schachpartie wird dabei als das Zerbrechen der Widerstandskraft des Gegenspielers gedeutet, genau das, was auch die Nationalsozialisten mit politischen Gegnern im Sinn hatten. Der Weltmeister wird auf dem Schiff als tumber Tor charakterisiert, der nichts anderes kann als sehr gut Schach spielen, er ist quasi ein Vorläufer heutiger Schach-Computer.

Soweit die Vorlage - Stölzl und sein Drehbuchschreiber Eldar Grigorian haben heftig an dem Zweig-Original geschraubt, um den Text als Blockbuster-Modell verwerten zu können. Manchmal meint man, das Eisberg-Drama „Titanic“ (Regie: James Cameron) sei mit Schnitzlers „Traumnovelle“ (Regie: Stanley Kubrick) zu den Leitplanken der Filmproduktion ernannt worden, soviel Drama und schräge Assoziation ziehen sich durch die etwa 110 Minuten. Bis auf Birgit Minichmayr (als Gattin Anna Bartok) bleiben die Hauptdarsteller dem Klischee verhaftet: Oliver Masucci stellt - durchaus in der Tradition von Curd Jürgens aus der 1960er-Verfilmung - vor allem sein Gesicht vor, und Albrecht Schuch transportiert das Zerrbild des gegelten Nazis. So geht die ursprüngliche Idee in künstlerischem Getöse („und ewig rauscht das Meer“) unter - oder wie ein Literaturwissenschaftler über die Novelle schrieb: „Sensibilität und differenzierte Intelligenz unterliegen dem brutalen Ungeist“!

 

https://www.filmstarts.de/kritiken/225684.html


Nomadland (USA 2020)    ****

Buch und Regie: Chloe Zhao

Laufzeit: 107 Minuten

mit: Frances McDormand

 

Die USA haben ab 2007 eine spekulativ aufgeblähte Immobilienblase mit darauffolgender Welt-Finanzkrise erlebt. Seitdem gibt es in diesem Land immer mehr - vorwiegend ältere - Menschen, die sich ein eigenes Heim nicht mehr leisten können und stattdessen mit einem Wohnmobil als Arbeitsnomaden auf der Straße sind. Die einen leiden unter dieser prekären sozialen Lage, die anderen kultivieren es als alternativen Lebensstil, als neue Form der postmaterialistischen Freiheit („Houseless, aber nicht homeless“). Über dieses Phänomen der amerikanischen Arbeitsgesellschaft hat Jessica Bruder 2018 ein Buch geschrieben (Nomaden der Arbeit. Überleben in den USA des 21. Jahrhunderts; Karl Blessing Verlag, München), das für die junge Regisseurin Chloe Zhao (1982 in Peking geboren, seit 1996 im Westen lebend) zur Basis ihres Drehbuches wurde. Sie verfolgte mit der Kamera einige Wanderarbeiter, wenn sie in North Dakota Zuckerrüben schaufeln, wenn sie in den Nationalparks von Kalifornien Toiletten reinigen oder wenn sie zwölf Stunden pro Schicht im Amazon-Versandzentrum Texas Waren sortieren und verpacken.

In ihre Mitte verpflanzte sie die Schauspielerin Frances McDormand unter dem Film-Vornamen Fern, die sich nach dem Tod ihres Mannes und dem Niedergang der Gips-Industrie in Empire, Arizona mit einem liebevoll ausgerüsteten alten Van namens Van-Guard auf den Weg macht. So entsteht ein durchaus interessantes Hybrid aus Doku und Fiction, aus Sozial-Report und Road-Movie, aus beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und rührenden Einzelschicksalen. Neben Frances McDormand gibt es mit David Strathairn als Dave nur noch einen professionellen Schauspieler, die anderen Akteure (wie z. B. Charlene Swankie oder Linda May) spielen sich selbst. Dave versucht Fern wieder in den Kreis der Sesshaften und vielleicht auch in eine engere Beziehung zurückzubringen, doch sie schläft lieber allein auf einer Matratze im engen Campmobil als im ummauerten Doppelbett.

Der Film enthält auch Ansätze einer grundlegenden Kapitalismuskritik, wenn der bärtige Nomaden-Guru und „Vandweller“ Bob Wells vor seinen Anhängern am Lagerfeuer die Vorzüge des Minimalismus und der Mobilität predigt und darauf hinweist, dass Mensch nicht zum Sklaven der Arbeit im Hamsterrad der Wachstums-Ideologie werden darf. Letztlich verlässt sich der Film aber auf die Romantik der individuellen Tragödien und auf die darstellerische Brillanz von Frances McDormand, deren vom Leben gezeichnetes Gesicht ohne Zweifel die Hauptrolle spielt. Diese Schwerpunktsetzung war der Oscar-Jury 2021 drei Preise wert: bester Film, beste Regie und beste Hauptdarstellerin.

 

https://www.filmstarts.de/kritiken/271687.html


Unterleuten - Das zerrissene Dorf ****

nach dem Roman von Juli Zeh

Regie: Matti Geschonnek

Drehbuch: Magnus Vattrodt

Teil1: 93 Min; Teil 2: 94 Min.; Teil 3: 93 Min.

Ausstrahlung im ZDF: 9., 11. und 12. März 2020 (abrufbar in der ZDF-Mediathek)

 

Vier Jahre nach dem Erscheinen von Juli Zehs Gesellschaftsroman „Unterleuten“ hat das ZDF aus dem Buch-Bestseller einen TV-Dreiteiler (insgesamt 280 Minuten) mit prominenter Besetzung gemacht. Nur kurz zeigt sich am Anfang eine ländliche Brandenburg-Idylle mit wiegenden Getreidefeldern, blauem Postkartenhimmel und romantisch herausgeputzten Bauernhäusern, untermalt von einer meditativen Gitarren-Musik, die auch zu „Paris, Texas“ passen würde. Doch bald konkretisiert sich, was Juli Zeh und der Film beschreiben bzw. bebildern wollen: das Ende der dörflichen Solidarität und die Entwicklung zu einem Krieg aller gegen alle, an dem Thomas Hobbes seine Freude hätte, quasi ein Spiegelbild, ein Mikrokosmos der globalisierten Gesellschaft im Spätkapitalismus. Die Aversionen von Alteingesessenen gegen die Stadtflüchtlinge aus Berlin, die mühsam verdeckten Brüche des Systemwechsels von der DDR zur Bundesrepublik und die Gleichzeitigkeit von agrarischer Energiewende und globalisierter Heuschrecken-Investorenplage schaffen in dem Dorf ein Klima der permanenten Überreiztheit, der Intrigen und der Aggressionen.

In einem Interview betonte Juli Zeh, sie habe sich die Frage gestellt, wie Verbrechen entstehen, warum niemand etwas Böses will und es trotzdem entsteht. Dazu entwirft sie ein fast repräsentatives Personenspektrum, im Film von der ersten Riege des deutschen Schauspiels verkörpert: der Autokrat und Großgrundbesitzer Gombrowsky (Thomas Thieme) mit Frau Elena (Christine Schorn) und Nebenfrau Hilde (Dagmar Manzel), sein Gegenspieler, der ehemalige SED-Funktionär und störrische Altkommunist Kron (Hermann Beyer) samt Tochter Kathrin (Bettina Lamprecht), Schwiegersohn Wolf (Bjarne Mädel) und Enkelin Krönchen, der schwache, amtsmüde, nach Kompromissen suchende Bürgermeister Seidel (Jörg Schüttauf), sowie der stets latent gewaltbereite KfZ-Schlosser Schaller (Charly Hübner). Dazu kommen die zugereisten Berlin-Flüchtlinge: der Umwelt-Professor Dr. Gerhard Fließ (Ulrich Noethen) mit junger Ehegattin (Rosalie Thomass) und Kleinkind, die Pferdefarm-Planerin Linda Franzen (Miriam Stein) und ihr Freund Frederick (Jakob Matschenz), der süddeutsche Investor Meiler (Alexander Held) und die Vento-Direct-Windpark-Projektleiterin Anne Pilz (Mina Tander). Letztere ist auch die einzige Person, die im Film anders als in dem Roman angelegt ist. Frau statt Mann und am Ende Exekutorin einer Firmenentscheidung, die der Handlung einen ganz neuen abschließenden Dreh gibt.

Die schnell aufbrechenden Antagonismen zeigen exemplarisch das Bild vom „zerrissenen Dorf“ (Untertitel der Verfilmung), was ja gleichzeitig eine Miniaturausgabe des kritischen Narrativs von der zerrissenen Gesellschaft ist. Wer aber Pluralismus, kompetitive Demokratie, Multikulturalismus und Globalisierung befürwortet, muss diese Zerrissenheit im Prinzip ertragen und darf nicht auf schnelle Versöhnung hoffen. Das tun auch Juli Zehs Roman und die Verfilmung nicht, da sie ohne Besserwisserei Zustände beschreiben.

Am Ende gibt es keine Gewinner, stattdessen zwei Tote, einen Schwerverletzten, einen Pflegefall, zwei gescheiterte Ehen und zwei gescheiterte Berlin-Rückkehrer, also eher eine traurige Lose-Lose-Situation - mit einer Ausnahme: der Schriftsteller Wolf Hübschke hat trotz Hang zur Prokrastination endlich den Titel für sein neuen Theaterstück gefunden („Fallwind“).

 

https://www.zdf.de/serien/unterleuten

 

PS: Liebe Juli Zeh! Nach der erneuten Lektüre von „Unterleuten“ im Zusammenhang mit der Verfilmung und angesichts der gleichzeitigen Lektüre Ihres neuen Romans „Über Leben“ darf eine Kritik nicht ausbleiben: sie haben offensichtliche einen brandenburgischen Roman-Baukasten entwickelt, aus dem sie mit der Methode des Selbstzitats Module zur Wiederverwertung entnehmen. So gesehen ist „Über Leben“ eigentlich nichts anderes als „Unterleuten, Teil 4“!

 


Manhattan (USA 1979)    ****

Regie und Drehbuch: Woody Allen

Laufzeit: 96 Minuten

Mit: Woody Allen, Diane Keaton, Mariel Hemingway, Meryl Streep u. v. a.

 

Wenn man diesen Film nach 42 Jahren wieder anschaut, stellen sich etwa drei Fragen: Ist das der Prototyp des Woody-Allen-Films schlechthin? Gehört auch Woody Allen zu der Liste der überschätztesten Kreativen aller Zeiten (diese „Liste“ ist ja Inhalt eines Dialogs zwischen Mary (Diane Keaton) und Isaac (Woody Allen) auf den Straßen von New York)? Sieht man diesen Film nach #MeToo, nach dem Weinstein-Kasus und nach den Beschuldigungen gegen Woody Allen mit anderen Augen?

Arbeiten wir den kleinen Fragenkatalog mit deutlich steigendem Schwierigkeitsgrad also ab: „Manhattan“ hat in der umfangreichen Filmografie von Woody Allen (über 50 Filme in 55 Jahren) tatsächlich prototypischen Charakter: in dieser gebrochenen Schwarz-Weiß-Romanze stellt Allen seine Lieblingsthemen exemplarisch in den Fokus: New York, die Musik der 1920er und 30er Jahre, Dialoglastigkeit und Handlungsarmut, die Beziehungsneurosen von etwa 40jährigen Großstädtern, der oft banale Insider-Sprech in der Kulturszene und die Sprengkraft des jüdischen Humors.

Die Behauptung, Woody Allen gehöre zu den überschätzten Kreativen aller Zeiten, ist eine nur bösartige Unterstellung, eine billige Außenseiter-These, mit der man alles und nichts beweisen kann. Dass Woody Allen sich gern über das lächerliche Kultur-Geplapper von selbst ernannten Notenrichtern lustig macht, ist zwar ein dankbares Einfallstor für Allen-Kritiker; er selber hat aber in einem Interview eine durchaus realistische Einschätzung seines Schaffens abgegeben: seine Filme ließen sich ohne Zweifel in gute, mittelmäßige und weniger gute einteilen - basta! Trotz mancher Selbstzitate und thematischer Wiederholungen ist der Drehbuchautor und Regisseur Woody Allen eine unermüdlich sprudelnde Quelle der Kreativität!

Schwieriger wird es, wenn wir uns der letzten Frage zuwenden: deshalb sei hier die Hilfe eines Essays, das die Journalistin Claire Dederer vor wenigen Jahren veröffentlicht hat, zur Hilfe genommen. Sie spricht bei Woody Allen - und seinem Verhältnis zu Soon-Yi Previn, der Adoptivtochter seiner Lebenspartnerin Mia Farrow - von Ungeheuerlichkeiten (monstrousness), die es einem (besonders wohl einer Frau) schwer machen, dessen künstlerische Leistungen noch unbefangen zu würdigen, die Kunst noch vom Menschen zu trennen. Das gleiche Problem hat man mittlerweile mit Richard Wagner, Roman Polanski, Dieter Wedel, Phil Spector, Pablo Picasso oder Norman Mailer, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Eine allgemeingültige Antwort kann hier nicht gegeben werden. Einige werden heute die problematische Beziehung zwischen dem 42jährigen Isaac und der 17jährigen Schülerin Tracy (Muriel Hemingway) genauso unmöglich finden wie die Thesen zur freien Liebe einiger Ur-Grüner in den 70er Jahren. Immerhin ist aber jene Tracy die einzige Person in dem Film „Manhattan“, die in sich ruht, die zwar verletzlich aber nicht hilflos ist. Die wirklich tragischen Figuren sind vielmehr Mary (Diane Keaton) und Isaac (Woody Allen), wobei letzterer aber die Dilemmata des modernen Großstadt-Menschen mit einer Portion von jüdischem Zynismus im Stile von Groucho Marx übertünchen kann.

Spannend bleibt die Beobachtung, ob Woody Allen ein Opfer der neuen Cancel Culture wird (oder schon ist), das heißt ob man seinen bislang letzten Film „Rifkin’s Festival“ noch im Kino sehen wird oder ob GegendemonstrantInnen den Zugang versperren werden.

 

https://www.theparisreview.org/blog/2017/11/20/art-monstrous-men/


Lost In Translation (USA 2003)    ****

Regie und Drehbuch: Sofia Coppola

Laufzeit: 100 Minuten

mit Bill Murray, Scarlett Johansson u. v. a.

 

Geschäftsleute, international agierende Künstler und Airline-Angestellte kennen das: das kurzzeitige Leben in fremden Städten und großen Hotels. Dabei muss man irgendwie mit dem Kontrast zwischen fremden Welten und standardisiertem Hotel-Ambiente, zwischen Landessprache und dem weltumspannenden Business-Englisch umgehen. Dieses Setting schafft den Rahmen für Sofia Coppolas meisterhaft erzählte Film-Geschichte „Lost In Translation“, die in Deutschland noch den gar nicht so abwegigen Untertitel „Zwischen den Welten“ bekommen hat.

Zwei Protagonisten treffen in einem großen Hotel in Tokio aufeinander: der Schauspieler Bob Harris (Bill Murray), der sich mit Midlife Crisis, Karriere-Knick und 25jährigem Ehealltag auseinandersetzen muss und sich wegen Filmaufnahmen für einen Whisky-Werbespot („Prime time is Suntory time“ - ein dreister Fall von product placement?) in Japan aufhält, und die junge Amerikanerin Charlotte (Scarlett Johansson), die mit ihrem Ehemann, einem umtriebigen Fotografen nach Tokio gereist ist, sich nun aber langweilt, während der Gatte von einem Auftrag zum anderen eilt, und in zunehmende Selbstzweifel verfällt. Das könnte auch der Auftakt zu einer Lolita-Story werden, doch darum geht es der Regisseurin und Drehbuchautorin Coppola nicht. Sie will eher die Verlorenheit zweier Individuen in einer fremden Metropole zeigen und tut das mit einer ausgewogenen Mischung aus Ironie und leiser Tragik. Die improvisationslastige Machart des Films weist Parallelen zu dem skurrilen „Toni Erdmann“ auf, erinnert aber manchmal auch an die Großstadt-Romanzen von Woody Allen.

Der kulturell-sprachliche Gegensatz zwischen Japan und USA liefert immer wieder Anlässe von hintergründiger Komik, einige Kritiker sahen darin sogar einen anti-japanischen Rassismus, was sicher nicht berechtigt ist. Besonders intensiv wirkt der permanente Hintergrund-Soundtrack des Films mit Easy-Listening-Muzak in den Hotel-Aufzügen, mit Bar-Jazz, mit dem nervtötenden Gepiepse der Spielautomaten und Karaoke-Maschinen. Vor allem aber lebt der Film von seinen zwei Hauptdarstellern: der damals 17jährigen Scarlett Johansson, die eine beeindruckende Mischung aus kindlicher Unschuld und reflektierter Laszivität an den Tag legt, und der fein reduziert agierende Bill Murray, der zwischen Ausbruchs-Illusionen und Alltags-Ritualen, zwischen Melancholie und Resignation pendelt. Der Film endet mit einem nachdenklichen Abschiedskuss, mit dem Murray-Zitat „Am Ende hatte ich das Gefühl, dass ich sie nicht im Stich lassen konnte … Man kann nicht einfach so den Traum von jemandem zerstören“ und der Auflösung dieser für ein paar Tage dauernden Momentaufnahme in das Getriebe der ruhelosen Großstadt.

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/47395.html


The French Connection (dt. Brennpunkt Brooklyn) (USA 1971)     ****

Regie: William Friedkin

Laufzeit: 104 Minuten

mit: Gene Hackman; Roy Scheider u. v. a.

Ausstrahlung auf 3sat am 29.1.2021

 

Wer sich heute über Polizeigewalt, racial profiling und diskriminierende Ermittlungsmethoden aufregt, sollte einmal 40 Jahre zurückschauen und sich dann - nach der Betrachtung des Films „French Connection“ - die Frage stellen, warum diese Produktion 1971 fünf Oscars bekommen hat (z. B. Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller).

Denn die beiden New Yorker Polizisten Jimmy Doyle (Gene Hackman) und Buddy Russo (Roy Scheider), die einem großen Heroin-Deal hinterherjagen, sind ausgesprochen zwielichtige Gestalten, die sich durch (so gar nicht latenten) Rassismus, durch gewalttätigen Jähzorn und durch zwangsneurotisches Jagdfieber auszeichnen. Aber vielleicht sind gerade diese Schattenseiten der Staatsgewalt, vielleicht ist gerade diese Austauschbarkeit von Gut und Böse die postmoderne Antwort auf eine immer schwerer zu erklärende Welt. Vielleicht halten wir einen dirty Harry oder einen Popeye Doyle mit Killerinstinkt für glaubhafter und dokumentarischer als die konventionellen Helden der Kriminalgeschichte. Insofern hat William Friedkin mit „French Connection“ tatsächlich eine Art Paradigmenwechsel geschafft und trotz Verweisen auf die Traditionen des film noir auch eine ästhetische Neuorientierung gewagt. Das ungewöhnlich körnige Bild, die fahrige Handkamera und die unruhige Geräuschkulisse passen zu den dunklen Schauplätzen der Hinterhöfe und der Seitenstraßen von Brooklyn. Der Film startet mit erstaunlich sparsamer Dialogregie und harten Ortswechseln zwischen Marseille und New York, er steuert unaufhaltsam auf eine dramatische Verfolgungsjagd zwischen dem Polizisten und dem Killer unter und über den U-Bahn-Gleisen zu, gegen die die große Auto-Verschrottung bei den „Blues Brothers“ nur ein komisches Kasperletheater ist. Der Schluss des Films wirkt als radikaler Bruch: in einer Fabrikhallen-Ruine fällt ein Schuss (mit dem Doyle aus Versehen seinen älteren FBI-Kollegen tötet), dann kommt der Abspann, d.h. die Text-Information, dass der Hauptgangster nie gefasst wird (Verbrechen zahlt sich also vielleicht doch aus!) und dass die beiden Polizisten aus dem Drogendezernat zu einen Bürojob versetzt werden. Dass ist ungefähr so schlimm, wie die Forderung der taz-Kolumnistin nach den gewaltsamen Polizeiaktionen 2020 in den USA: „All cops are berufsunfähig“ und sollten zur Müllabfuhr umgeschult werden!

 

https://programm-stage.ard.de/TV/3sat/french-connection---brennpunkt-brooklyn/eid_280073980723808


Wild at Heart - Die Geschichte von Sailor und Lula (USA 1990)   ****

Regie: David Lynch

Laufzeit: 120 Minuten

mit Nicolas Cage, Laura Dern, Harry Dean Stanton, Willem Dafoe, Isabella Rossellini u. v. a.

Ausstrahlung auf 3sat am 15.1.2021

 

Bei David Lynch scheiden sich die Geister, so auch bei seinem Film „Wild At Heart“, der 1990 bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt wurde. Von einer „widerwärtigen Melange aus Brutalität und Sentimentalität“, von einem „widerlichen Film“ war in deutschen Feuilletons die Rede, aber die Jury war begeistert und erkannte Lynch die Goldene Palme zu. Gut dreißig Jahre später war der Film anlässlich von David Lynchs 75. Geburtstag auf 3sat zu sehen und man darf vermuten, dass er seine polarisierende Wirkung bis heute nicht verloren hat.

Die Geschichte von Sailor und Lula ist ein blutrünstiges, verstörendes Märchen, das sich mit amerikanischen Mythen, american psycho (Ödipus lässt grüßen!) und amerikanischer Film-Ikonografie auseinandersetzt. Es ist ein pralles road movie, das chauvinistischen Verbalradikalismus, die Gewaltphantasien in der Literatur von Brett Easton Ellis mit dem Märchen vom Zauberer von Oz vermischt und auf filmische Zitate von Hitchcock über Sergio Leone und Russ Meyer bis Tarantino verweist. Es ist eine amerikanische Kulturgeschichte von Bonnie & Clyde über Marylin Monroe, James Dean, Marlon Brando und Elvis Presley bis zu Metallica, erzählt in einer schrillen Komposition aus Trash, Kitsch und postmodernem Surrealismus, einer Farbgebung aus Blut, Lippenstift, Feuer und red dirt country und einem sehr diversen Soundtrack mit dem Leipziger Gewandhausorchester, Chris Isaak (passender Titel: „Wicked Game“), Gene Vincent und Powermad.

Der Inhalt ist im Prinzip schnell berichtet: Lula (Laura Dern) flüchtet mit ihrem Freund Sailor (Nicolas Cage) - gerade nach einer brutalen Notwehr-Attacke wieder aus dem Gefängnis entlassen - vor den irren Nachstellungen der Mutter Marietta (Diane Ladd), die ihren Liebhaber, den Detektiv Johnnie Farragut (Harry Dean Stanton), und die schräge Truppe des Gangsterboss Marcello Santos (J. E. Freeman) auf die Jagd schickt. Über New Orleans kommen die beiden Königskinder in das kleine texanische Kaff Big Tuna, wo der furchtbare Bobby Peru (warum erinnert mich Willem Dafoe immer an den Beißer aus den James-Bond-Filmen?) die beiden auf eine harte Probe stellt. Sailor wird rückfällig, beteiligt sich an einem Bankraub und marschiert wieder ins Gefängnis. Lulu bringt alleinerziehende Mutter ihr Kind zur Welt und wartet auf ihren Mann in der Freiheit. Sailor zweifelt an seiner Familienglückstauglichkeit, doch wie ein Deus ex machina überzeugt ihn die Fee: „Wenn du wirklich ein wildes Herz hast, dann wirst du für deine Träume kämpfen. Du darfst nicht vor der Liebe davonlaufen.“ Sailor singt für seine Ehefrau „Love Me Tender“ - und wer an dieses Happy End glaubt, hat vorher bei David Lynchs Verwirrspiel zwischen american dream und american nightmare etwas übersehen.

 

https://www.3sat.de/film/spielfilm/wild-at-heart---die-geschichte-von-sailor-und-lula-100.html


Feinde: Gegen die Zeit / Das Geständnis (D 2021) ***

Regie: Nils Willbrandt

Buch: Ferdinand von Schirach, Nils Willbrandt, Jan Ehlert

Darsteller: Klaus Maria Brandauer, Bjarne Mädel u.v.a.

TV-Ausstrahlung am 3.1.2021 (ARD)

 

Zum dritten Mal hat die ARD ein juristisch-ethisches Dilemma aus der Feder des Bestseller-Autors Ferdinand von Schirach ins Programm genommen und bei den zahlreichen Zuschauern - ca. 10 Millionen sollen am 3. Januar 2021 das Dreifach-Angebot aus Film 1 („Feinde - Gegen die Zeit“), Film 2 „Feinde - Das Geständnis“) und Dokumentation („Feinde - Recht oder Gerechtigkeit“) verfolgt haben- einen Diskussionsprozess angestoßen.

Nach „Terror“ und „Gott“ wurde nun mit „Feinde“ die Frage aufgeworfen, ob staatliche Organe in bestimmten Notsituationen Aussagen durch Folter erzwingen können und ob diese Aussagen in Strafprozessen verwertbar sind. Schirach bezieht sich dabei auf den bekannten Fall Jakob von Metzler aus dem Jahre 2002, dessen filmische Aufarbeitung 2012 im ZDF ausgestrahlt wurde (Drehbuch: Jochen Bitzer). Gegenüber den tatsächlichen Ereignissen hat Schirach aber zwei wesentliche Veränderungen vorgenommen. Zum einen war 2002 die Schuld des Entführers Magnus Gäfgen zweifelsfrei erwiesen, da er bei der Lösegeldübergabe verhaftet wurde; zum anderen hat der Frankfurter Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner die Aussage des Entführers zum Versteck der Geisel nur durch Androhung von Folter erreicht. Dagegen verlässt sich in Schirachs Fassung der Polizist Peter Nadler (gespielt von Bjarne Mädel) ohne triftige Beweise auf seinen in langen Dienstjahren erworbenen Instinkt, dazu wendet er im Sanitärbereich des Untersuchungsgefängnisses die Folter-Methode des Waterboarding an, um die Aussage des vermeintlichen Täters Georg Kelz zu erzwingen. Für den Verteidiger Biegler (Klaus Maria Brandauer) ist es daher relativ leicht, die Zeugenaussage des Polizisten zu erschüttern und einen Freispruch für seinen Mandanten zu erreichen.

Juristen haben deshalb kritisiert, dass durch diese Komposition des Autors die Debatte über das Thema „Folter im Rechtsstaat“ manipulativ gesteuert wurde. Es lohnt sich also, einen Blick etwa 15 Jahre zurückzuwerfen, wo das Thema schon einmal öffentlich diskutiert wurde. Anlass war damals nicht nur der Fäll Metzler sondern auch die terroristische Bedrohungslage nach dem 11.9.2001 und rechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem US-Gefangenenlager Guantánamo Bay.

Winfried Brugger, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Heidelberg hatte dazu eine hypothetische Extremsituation („ticking bomb“-Szenario) konstruiert: eine von Terroristen versteckte Bombe droht zahlreiche Menschen zu vernichten. Die Polizei kann einen der Terroristen verhaften, der über Informationen verfügt, die man braucht, um die Katastrophe abzuwenden. Sonstige Möglichkeiten der Gefahrenabwehr (etwa die Erfüllung der Forderungen der Terroristen) sind nicht vorhanden. In dieser Situation plädierte Brugger schon in einem Aufsatz aus dem Jahre 1996 unter der Überschrift „Darf der Staat ausnahmsweise foltern?“ für diese Option - der Begriff der „Rettungsfolter“, der im Film auch von dem Polizisten verwendet wurde, war geboren.

In der Hierarchie der Rechtsnormen muss auch Brugger zugestehen, dass völkerrechtlich eine absolutes Folterverbot besteht: die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und der Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention sind dafür unbestreitbare Belege. Das verfassungsrechtliche Dilemma beginnt aber mit dem Grundgesetz-Artikel 1(1), Satz 2: „Sie (= die Menschenwürde) zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Nach Brugger bedeutet das, dass die Menschenwürde einer Geisel mindestens genauso zu schützen ist wie die Menschenwürde eines Entführers oder Terroristen zu achten ist. Dieser „blinde Fleck“ führt dazu, dass im Polzeigesetz der finale Rettungsschuss erlaubt, die Erzwingung einer Aussage durch Folter aber verboten ist, dass strafrechtlich die Eltern eines Entführungsopfers, wenn sie des Geiselnehmers habhaft würden, diesem im Sinne einer Notwehr Zwang antun dürften, die staatlichen Organe aber zu diesem Mittel nicht greifen können. Brugger forderte deshalb, dass diese „Bewertungslücke“ durch eine interpretative Verengung für Fälle, in denen Leben gegen Leben oder Würde gegen Würde steht, ergänzt und legislativ formuliert wird. Brugger nennt dazu acht Merkmale, auf die die Ausnahme zutreffen muss: eine klare (1), unmittelbare (2), erhebliche (3) Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität einer Person (4) durch einen identifizierten Aggressor (5), der gleichzeitig die einzige Person (6) ist, die zur Gefahrenbeseitigung in der Lage (7) und auch dazu verpflichtet (8) ist.

Gegen Bruggers Argumente, die unter Juristen nach wie vor Minderheitenstatus haben, wurden im Wesentlichen zwei Punkte hervorgehoben: die Achtung der Menschenwürde habe Vorrang vor einer staatlichen Schutzpflicht, weil sie die Grundlage von Moral und Recht sei. Die Aufweichung des prinzipiellen Folterverbots sei ein Dammbruch mit fatalen Folgen für den Rechtsstaat und mit einer problematischen Außenwirkung.

Weitaus kniffliger und angreifbarer ist die Herangehensweise von Günther Jakobs, emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie. Er schlägt die Unterscheidung zwischen einem „Bürgerstrafrecht“ und einem „Feindstrafrecht“ vor. Rekurrierend auf den Lockeschen Gesellschaftsvertrag erklärte er, dass derjenige, der den Gesellschaftsvertrag durch seine Handlungen aufkündige, damit auch die Zivilität des Rechtsstaates verlasse und nicht mehr verlangen könne, dass ihm gegenüber rechtsstaatlichen Prinzipien eingehalten werden. Damit nähert Jakobs sich der Vorgehensweise gegen den Terrorismus in den USA, wo ein Status als ungesetzlicher Kombattant („unlawful enemy combatant“) die Rechte von Gefangenen (etwa in dem Marinestützpunkt Guantánamo Bay) deutlich herabsenkt. Die Entscheidung des Supreme Court im Fall Hamdan vs. Rumsfeld hat aber 2006 dazu geführt, dass z. B. Militärkommissionen nicht als Ersatz für reguläre Gerichte zulässig sind.

Der Argumentation von Günter Jacobs widersprachen seither zahlreiche Experten: Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, warnte vor einer „Zone der Rechtlosigkeit“ und lehnte jede Relativierung des Folterverbots ab. Heribert Prantl fühlte sich an den Wortschatz des Nationalsozialismus erinnert, wenn Menschen zu Unpersonen erklärt werden.

Bei der Debatte um ein absolutes Folterverbot darf nicht vergessen werden, einen Blick auf mögliche Foltermaßnahmen zu werfen. Es stellen sich Fragen: ab wann kann man von Folter sprechen? Welche Intensität der Folter wäre im Falle einer „Rettungsfolter“ zulässig? Professor Rolf Gröschner verweist aktuell in einem Artikel zu dem TV-Event auf einen Buchtitel von Catarina Cristina Herbst: „Lebensrettende Aussageerzwingung“ durch verhältnismäßige Zwangsmaßnahmen. Wie aber eine Verhältnismäßigkeit im Spektrum von Isolation, Schlafentzug, Elektroschocks und Waterboarding, hergestellt werden kann, bleibt weitgehend offen. Winfried Brugger deutet nur an, dass eine Aussageerpressung in Guantánamo keine Ausnahme vom Folterverbot rechtfertigen würde.

 

https://www.daserste.de/unterhaltung/film/ferdinand-von-schirach-feinde/index.html


Werk ohne Autor (D 2018)    ***

Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck

Laufzeit: 176 Minuten

Darsteller: Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch u.v.a.

TV-Ausstrahlung am 28.12.2020 (ARD)

 

1981 erschien in den Kinos die Verfilmung des Romans „Mephisto“ von Klaus Mann: eine kaum verhüllte Schlüsselgeschichte über das künstlerische Leben des Schauspielers und Regisseurs Gustav Gründgens während der NS-Zeit. Adoptivsohn Peter Gorski hatte nach dem Tod Gründgens ein Veröffentlichungsverbot erklagt, das 1971 vom Bundesverfassungsgericht mit Einschränkungen bestätigt wurde. Erst 1981 wurde mit der Verfilmung und mit einer Edition bei Rowohlt die künstlerische Freiheit wieder hergestellt.

Ein bisschen erinnert dieser Fall an den Film „Werk ohne Autor“, in dem Regisseur und Drehbuchautor Florian Henckel von Donnersmarck (Oscar-Gewinner mit „Das Leben der Anderen“) das Leben des Künstlers Ger­hard Richter (geb. 1932) - allerdings mit einer Hauptperson anderen Namens - nachzeichnet. Natürlich hatte Gerhard Richter keine Veranlassung gegen diesen Film juristisch vorzugehen, seine „Abneigung“ hat er allerdings in mehreren Interviews verdeutlicht: er empfinde einen Missbrauch seiner Biografie und habe dem Regisseur schon in kurzen Vorgesprächen empfohlen, dem Protagonisten einen anderen Beruf zu geben. Donnersmarcks Replik erinnert wiederum an das, was schon Klaus Mann zu seinem Mephisto-Roman sagte: er habe nur ein paar Elemente aus der Biografie (Richters) genommen und dann aber eine eigene und stark fiktive Geschichte erzählt.

Abseits von dieser Insider-Debatte lohnt es sich aber in jedem Fall, den Film als das zu betrachten, was er letztlich ist: eine einerseits beeindruckende, andererseits aber auch etwas dramatisch aufgedonnerte Mischung aus Künstler-Biografie, deutscher Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts und Familien-Tragödie. Wir besichtigen die künstlerische und politische Sozialisation des kleinen Kurt Barnert (sympathisch unterkühlt gespielt von Tom Schilling), der von seiner exzentrischen Tante Elisabeth durch eine Ausstellung „Entartete Kunst“ geführt wird, wobei sie ihm ins Ohr flüstert: „Ich finde die Bilder eigentlich sehr schön!“. Er erlebt sie auch als Vorbotin einer modernen Performance-Kunst, wenn sie Dresdner Verkehrs-Busse zu einem Hupkonzert dirigiert und nackt am Klavier eine Etüde intoniert. Doch NS-Mediziner stufen Elisabeth (die im Original Marianne heißt) als nicht lebenswerte Schizophrene ein und deportieren sie in ein Euthanasie-Lager. All das beobachtet Kurt in einer Form der kindlichen Unschärfe, die sich in seinen späteren Malereien wiederfinden wird. Donnersmarck scheut sich allerdings nicht davor, die Tötung der Tante in einer Gaskammer abzufilmen und wenig später die Bombardierung Dresdens auszustellen - eine nicht unproblematische Parallele! Hier kommt auch erstmals der schneidige SS-Obersturmbannführer Seeband (Sebastian Koch) ins Spiel, der den Abtransport der Tante verordnet hatte und Jahre später Kurts Schwiegervater werden sollte.

Nach 1949 ist Kurt Barnert in der DDR ein begabter Schildermaler, der die Zulassung an die Dresdner Kunstakademie erhält. Dort freundet er sich mit der Modestudentin Elisabeth an, die ihm eine kleine Wohnung in der Villa ihres Vaters (Professor Carl Seeband) vermittelt. Jener hat sich vom überzeugten Nationalsozialisten zum anscheinend nicht weniger überzeugten Sozialisten gewandelt; weil er der Frau des KGB-Offiziers Murjajow bei einer Problem-Geburt entscheidend geholfen hat, muss er um Aufdeckung seiner Vergangenheit nicht fürchten. Als aber Murjajow nach Moskau zurückberufen wird, entschließt er sich vor dem Bau der Mauer zu einem Wechsel nach Westdeutschland.

Ähnlich ergeht es Kurt Barnert, der sich wohl doch nicht als Wandfreskenmaler des sozialistischen Realismus sieht und mit Elisabeth die S-Bahn nach West-Berlin besteigt. An der Düsseldorfer Kunstakademie findet er 1961 Aufnahme, muss aber dort das Unverständnis seiner Kommilitonen erleben: „Was, du malst noch?“ Angesagt ist jetzt nämlich Action Painting, Performance und frühe Pop-Art. Es bedarf der Intervention von Professor van Verten (Oliver Masucci verkörpert eine etwas klischeehafte Kopie von Joseph Beuys), damit er seine wirkliche Begabung wiederfindet. Mit verwischten Foto-Reproduktionen („Werk ohne Autor“) beginnt die Erfolgsgeschichte des Künstlers Barnert, mit der Schwangerschaft seiner Frau Ellie (nach einem vom Vater verordneten Abbruch Jahre zuvor) beginnt die Aussicht auf ein glückliches Familienleben. Für Vater Seeband droht aber - sehr spät! - die Aufdeckung seiner nationalsozialistischen Karriere.

Donnersmarcks Epos beeindruckt mit der ersten Riege der deutschen Schauspieler, mit grandioser Ausstattung und einem Jahrhundertpanaroma, das drei Stunden lang die Neugier aufrecht erhält (Untertitel: „Sieh niemals weg“). Schade, dass im Streben nach Superlativen die Zwischentöne teilweise verloren gehen, dass der Film viel konventioneller ist als sein Sujet und dass manche Zeitbeobachtung im Klischee steckenbleibt. So hat Ulf Poschardt mit seinem zweischneidigen Urteil in der WELT recht: „Ein bildungsbürgerliches Meisterwerk“ - mit Autor!

 

https://www.daserste.de/unterhaltung/film/filme-im-ersten/videos/werk-ohne-autor-video-100.html

https://www.piper.de/buecher/ein-maler-aus-deutschland-isbn-978-3-492-31212-7


Unfreiwillig auf getrennten Wegen in New York unterwegs: Gatsby (Timothee Chalamet) und Ashleigh (Elle Fanning)
Unfreiwillig auf getrennten Wegen in New York unterwegs: Gatsby (Timothee Chalamet) und Ashleigh (Elle Fanning)

A Rainy Day In New York (USA 2019)     ****

Regie: Woody Allen

Laufzeit: 92 Minuten

Darsteller: Timothee Chalamet, Elle Fanning u.v.a.

 

Eines hat Woody Allen mit Peter Handke gemeinsam: wegen gewisser Verfehlungen (politischer oder sexueller Art) in der Vergangenheit verweigern sich größere Teile der Öffentlichkeit der Auseinandersetzung mit seinem künstlerischen Angebot. Fast scheint es schon, als sei es wider die Regeln der political correctness, sich als Schauspieler bei dem Regisseur Allen zu verdingen oder als Kritiker den neuen Film gut zu finden. Denn das ist überraschenderweise der Fall: dem alternden Workaholic (80+) ist eine äußerst sympathische Geschichte gelungen, die zwar die bekannten Motiv-Bausteine enthält, diese aber so clever und attraktiv kombiniert, dass man auf hohem Niveau bestens unterhalten wird.

Der Schauplatz ist wieder einmal New York (mit einem nostalgischen Blick auf die guten alten Zeiten dieser Metropole), die beobachtete Gesellschaftsschicht sind vor allem reiche jüdische Familien, dazu kommen ironische Einblicke in die Filmemacher-Szene und jenes beschwingte Potpourri aus Sex (sehr wenig), Drugs (noch weniger) & Manhattan. Aus der Hauptperson, dem jungen Studenten Gatsby (Timothee Chalamet), einem romantisch-unangepassten Träumer und Querdenker, spricht natürlich der Drehbuch-Autor Allen und dessen sarkastisch-wehmütiger Blick auf die Stadt. Gatsby will mit seiner Freundin Ashleigh (Elle Fanning als naives Blondchen aus Arizona) ein Liebes- und Kultur-Wochenende in New York verbringen, doch unvermutete Umstände treiben die beiden auseinander und führen zu komischen Verwicklungen. Ashleigh wird zur Seelentrösterin dreier Filmschaffender (unter anderem dem von Selbstzweifeln geplagten Regisseur Roland Pollard - denkt man da nicht gleich an einen anderen, der auch mit Ro. und Po. anfängt? -), Gatsby engagiert ein attraktives Escort-Mädchen als Ersatz-Begleiterin für die Charity-Feier seiner Mutter („Pretty Woman“ lässt grüßen!). Am Ende gibt es zwar eine Versöhnung bei der Kutschfahrt durch den Central Park, doch dann kommt für Gatsby die Eingebung, dass ihn das verregnete, manchmal graue New York mehr fesselt als das ländliche Ambiente der Upstate-New-York-Universität oder gar die trockene Hitze Arizonas. Lieber wird er verwirrter Stadtneurotiker als erfolgreicher Investmentbanker.

Und schließlich gibt es da noch eine Sache, die Peter Handke und Woody Allen unterscheidet: letzterer wird trotz seiner perfekt gedrechselten Dialoge nie den Literatur-Nobelpreis erhalten!

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/258065.html


Das perfekte Geheimnis (D 2019)    ***

Regie: Bora Dagtekin

Laufzeit: 110 Minuten

Darsteller: Jessica Schwarz, Wotan Wilke Möhring, Elyas M’Barek, Karoline Herfurth, Florian David Fitz, Jella Haase, Frederick Lau u.a.

 

„Wir hätten dieses verfickte Scheiß-Spiel nicht spielen sollen!“ heißt es am Ende dieses Films mehrmals - und damit ist bereits einiges über Inhalt und Sprachebene dieser (nun auch) deutschen Komödie gesagt. Die Vorlage ist ein italienischer Film aus dem Jahre 2016 („Perfetti Sconosciuti“), der mittlerweile schon in elf Sprachen als landestypisches Remake weitergestrickt wurde.

Sieben befreundete (?) Personen - drei Paare, ein Single - treffen sich in einer schicken Münchner Dachterrassenwohnung zu einem zunächst gemütlichen After-Work-Abendessen. Doch dann hat irgendjemand eine provokante Spiel-Idee: alle sollen ihre eingeschalteten Smartphones auf den Tisch legen und alle eingehenden Nachrichten oder Anrufe durch Lautsprechen öffentlich machen. Der subtile Gruppenzwang („Ich habe doch nichts zu verbergen!“) führt dazu, dass nach anfänglichem Zögern alle mitspielen. Der weitere Abend entwickelt sich im Sinne der Dagtekin-Brutal-Komödie zu einem Worst Case Szenario, denn jeder hat mindestens eine Leiche im Keller, die in den folgenden Stunden heftigste Gefühlsausbrüche und Konflikte evoziert. Die meisten Privat-Geheimnisse haben mit sexueller Orientierung, sexuellen Vorlieben und heimlichen Beziehungen zu tun, es geht also hauptsächlich um Brustvergrößerung („Silikon-Titten“), Schwanzlänge, Oralsex, Homosexualität („Schwuchteln“) und Fremdgehen.

Das temporeiche Kammerspiel-Schlachtfeld weitet sich bald auf Küche, Kinderzimmer und Klo aus, man wartet nur noch darauf, dass einer sein Kind Adolf genannt hat, dass beim Dialog-Gemetzel Tulpensträuße durch die Luft fliegen und jemand „Fuck you Huawei“ oder „Der schwule Lehrer muss weg!“ skandiert. Als klischeehaft romantische Ruhephasen sind Blicke auf den Blutmond über München, auf ein verliebtes älteres Paar auf dem gegenüberliegenden Balkon und ein paar staatstragende Statements vom Schönheitschirurgen (Wotan Wilke Möhring) eingebaut. Das alles wäre noch - auch dank der gut gelaunten Schauspielergarde - erträglich, wenn der Film mit dem verzweifelten Abzug der Gäste als Fragezeichen geendet hätte. Leider sah sich aber Regisseur und Drehbuchautor Dagtekin genötigt, ein völlig deplatziertes Happy End im Sinne des Konsens-Kinos anzukleben, in dem die Männer wieder ihre alte Jugendfreundschaft zelebrieren und die Frauen zu ihrem vertrauten Rollenverständnis zurückfinden.

Irgendwie schimmert bei dem ganzen Tohuwabohu doch ein Lerneffekt durch: Wir wollen nicht den gläsernen Bürger, jeder hat ein Grundrecht auf kleine und größere Geheimnisse, das ist auch ein leistungsfähiger Kitt für Zweierbeziehungen, Freundeskreise und die Gesellschaft. Also: Es lebe die PIN fürs Smartphone!

 

https://www.constantin-film.de/kino/das-perfekte-geheimnis/


Bohemian Rhapsody (UK/USA 2018)     ***

Regie: Bryan Singer / Dexter Fletcher

Laufzeit: 134 Minuten

Darsteller: Rami Malek u.v.a.

 

Schon vor über zehn Jahren gab es den naheliegenden Plan das Leben von Freddie Mercury, dem Sänger der Band „Queen“ zu verfilmen. Die Hauptperson - gestorben 1991 - konnte an diesem Projekt nicht mehr mitwirken, aber viele andere Akteure, besonders die beiden noch aktiven Queen-Musiker, Brian May und Roger Taylor, machten ihre Interessen geltend - und so ist das Endprodukt eine kantenfreie Band-Biografie, die zwar mit einem satten Soundtrack überzeugt, als filmisches Werk jedoch eher im Konventionellen verharrt.

Zweieinviertel Stunden dauert der Musikfilm, die abschließende Erkenntnis ist: ohne den schillernden Außenseiter und begnadeten Performer Farrokh Bulsara, der sich dann bald den Künstlernamen Freddie Mercury zulegte, wäre Queen eine solide, aber musikhistorisch unbedeutende Hard-Rock-Band (etwa wie Bad Company oder Free) geblieben. Erst durch die kreative Hochspannung zwischen den vier Bandmitgliedern entstand jener fesselnde Stilmix aus geradlinigem Gitarren-Rock und verspielter Operette, aus Mitgröl-Stadionhymnen („We Will Rock You“) und artifiziellen Pop-Kunstwerken („Bohemian Rhapsody“). Im Mittelpunkt steht natürlich der aufhaltsame Auf- und Abstieg des Frontmanns, der zur stilbildenden Ikone der Gay-Society wurde, gleichzeitig aber die Kerze seines Lebens an beiden Ende zu kräftig anzündete. Dem gegenüber wirken die drei anderen Musiker wie biedere Familienväter, die sich am Wochenende im Übungsraum zum Abrocken treffen. Mercury aber lebt für sex, drugs und Rock’n‘Roll, ist in seiner künstlerischen Naivität ein leichtes Opfer der Musikindustrie und einer unüberschaubaren Entourage, die sich von dem Reichtum des Multimillionärs mitfüttern lässt.

Der Film startet mit dem Live-Aid-Konzert im Wembley-Stadion 1985, blendet zurück ins Jahr 1970, und arbeitete sich dann wieder zu dem abschließenden gut zwanzigminütigen Auftritt der Band zurück. Beeindruckend sind die nachgespielten Live-Szenen mit einem perfekt gestylten Rami Malek (der Brachial-Komiker Sacha Baron Cohen, der ursprünglich die Rolle spielen sollte, wurde abgelehnt) und dem passgenauen Brian-May-Double Gwilym Lee. Manche Geschichtsklitterung ist unübersehbar, auch Mercurys Leidensweg wird optisch geschönt, sein Tod wird nur noch beim Abspann erwähnt. Der Film ist wie eine gefühlige „Night At The Opera“, bei der am Ende einer in den Staub beißen muss.

 

https://www.kino.de/film/bohemian-rhapsody-2018/


Der Vorname (D 2018)      ****

Regie: Sönke Wortmann

Laufzeit: 91 Minuten

Darsteller: Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters., Justus von Dohnanyi, Janina Uhse, Iris Berben

 

Dass die Deutschen keine Komödie können, hat Sönke Wortmann schon mehrfach zu widerlegen versucht. Nach „Frau Müller muss weg“ (2015) präsentiert er nun erneut ein dialog-orientiertes Stück mit überschaubarem Personal: „Der Vorname“.

Das Urmuster jener Art von gesellschaftlicher Kommunikations-Tragödie stammt womöglich von Loriot. In seinem Sketch über den Kosakenzipfel mit Zitronecremebällchen erlebt man zwei Ehepaare, die sich im Urlaub offensichtlich angefreundet haben, und nun bei einem Abendessen zu Hause über die Aufteilung eines Desserts so in Streit geraten, dass alle mühsam aufgebauten Konventionen und Freundschafts-Rituale in kurzer Zeit zusammenbrechen.

Yasmin Reza machte mit „Gott des Gemetzels“ aus dieser exemplarischen Versuchsanordnung ein überaus erfolgreiches Bühnenstück. 2010 kam dann in Paris „Le prénom“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière auf die Bühne, 2012 folgte die französische Verfilmung. Mit gutem Gespür hat die deutsche Constantin das Potential dieses Kammerspiels entdeckt und Claudius Pläging (Drehbuch) sowie Sönke Wortmann (Regie) für ein deutsches Remake engagiert.

Fünf Personen sind es, die sich bei einem Abendessen treffen und gleichzeitig das gesellschaftspolitische Spektrum der gehobenen Mittelschicht spiegeln. Stephan (Christoph Maria Herbst) ist der besserwisserische Germanistik-Professor mit links-liberalem Touch und Gespür für politische Korrektheit. Seine Frau, die Grundschul-Lehrerin Elisabeth Berger-Böttcher (Caroline Peters), repräsentiert die empathische Grün-Realo-Fraktion, ist allerdings nicht bereit, als dauerndes Opferlamm zu dienen. Ihr Bruder, der leicht bildungsferne, aber materiell sehr erfolgreiche Immobilienmakler Thomas (Florian David Fitz), bringt mit einer gezielten Provokation (a la Gauland?) ins Rollen, indem er dem Freundeskreis ankündigt, dass er sich bei seinem bald zu erwartenden Kind für den Vornamen Adolf entschieden hat. Da kann selbst der teflon-artige Konsens-Künstler Rene (Justus von Dohnanyi) nicht anders als die Stirn zu runzeln und leise Bedenken anzumelden. Thomas‘ junge Frau Anna (Janina Uhse) platzt unwissend die anschwellende Diskussion und mischt dann munter beim wechselseitigen „Was-ich-dir-immer-schon-mal-sagen-wollte“-Spiel mit. So entsteht eine launige Ping-Pong-Atmosphäre, bei der neben lauten Worten am Ende sogar Fäuste fliegen. Dies besonders als Rene sein Verhältnis zur Böttcher-Mutter Dorothea (leider vollkommen im Klischee verstrickt: Iris Berben) outet.

Die deutsche Filmfassung trifft meistens den Nerv eines amüsiert betrachtenden Bürgertums, verliert gegen Ende aber zunehmend an ironischer Schärfe. Das Stück könnte aber auf der kleinen Live-Bühne ein Publikumsrenner 2019 werden.

 

https://www.constantin-film.de/kino/der-vorname/

Die Verlegerin (USA 2018) ***

Regie: Stephen Spielberg

Laufzeit: 117 Minuten

Darsteller: Meryl Streep, Tom Hanks u.v.a.

 

Es ist jenes wohl bekannte Viereck aus Pressefreiheit, Wahrheit, Staatsräson und Kommerzialisierung, das immer wieder die großen Geschichten in westlichen Demokratien schreibt - von der SPIEGEL-Affäre 1962 bis zur Fake-News-Debatte der gegenwärtigen US-Regierung. Stephen Spielberg hat nun ein Geschehen aus dem Jahr 1971 aufgegriffen und daraus einen sehr ernsthaften, jedoch auch sehr amerikanisch-idealistischen Film gemacht. Der US-Außenminister Robert McNamara hatte ein Dossier über die Regierungspolitik in Südostasien seit Eisenhower in Auftrag gegeben, diese Pentagon Papers wurden von Daniel Ellsberg, einem der frühen Whistleblower, in nächtelanger Kleinarbeit kopiert und dann an die „New York Times“ weitergeleitet. In einem Interview erklärt er, dass es sein Motiv war, jenes „Lügensystem“, das wichtige Informationen zum Vietnamkrieg der Öffentlichkeit verschwieg, aufzubrechen. Als die US-Regierung ein Publikationsverbot erwirkte, wurden die Papiere auch der „Washington Post“ zugespielt. Hier findet der Film nun seine wackere Hauptdarstellerin, die Verlegerin Katherine Graham (Meryl Streep), die nach dem Selbstmord ihres Mannes die Führungsposition des Pressehauses übernommen hatte und sich dort einer Horde dauerrauchender Männer gegenüber sieht: Schlagzeilenjäger, Auflagen-Treiber, Enthüllungs-Profis, Finanzspekulanten und dem kantigen Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks). Aus dem Dilemma dieser nicht immer starken Frau („Ich habe eine Verantwortung für diese Firma, aber ich habe auch eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, dem Wohlergehen der Nation“) strickt Spielberg ein fast zweistündiges, sehr dialoglastiges Drama, das vom atemlosen Retro-Takt der Redaktions-Büros, der Setzkästen und der Druckmaschinen angetrieben wird. Kay Graham hört einerseits die staatstragenden Warnungen ihres persönlichen Freundes McNamara und die kommerziellen und juristischen Ratschläge ihrer leitenden Angestellten, andererseits aber auch das Credo ihres Chefredakteurs: „Der einzige Schutz für das Recht der Veröffentlichung ist die Veröffentlichung“. Dann fällt sie eine einsame Entscheidung: es wird gedruckt - und der Oberste Gerichtshof gibt ihr wenig später Recht, sehr zum Ärger von US-Präsident Nixon. Somit kann man den Film als flammenden Appell für den Mut zur Pressefreiheit verstehen, es trifft aber auch der bekannte Satz von Paul Sethe zu, die Pressefreiheit sei die Freiheit von etwa 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten; den Blick auf diese Dialektik hat Spielberg nicht gewagt. „Die Verlegerin“ endet stattdessen mit einem Ausblick auf den nächsten Skandal, die Watergate-Affäre. Den Film dazu gibt es schon seit 1976: „Die Unbestechlichen“ von Alan J. Pakula mit Robert Redford und Dustin Hoffman.

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/254356.html


Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

(USA/GB 2017)  ****

Drehbuch und Regie: Martin McDonagh

Laufzeit: 116 Minuten

Darsteller: Frances McDormand, Woody Harrelson, Sam Rockwell u.v.a.

 

In der ersten Filmszene fährt Mildred Hayes (Frances McDormand in einer grandiosen Rolle) mit ihrem Auto auf einer abgelegenen Landstraße (outside Ebbing) und entdeckt drei große leer stehende Reklametafeln. Sie beschließt, diese billboards zu mieten und darauf eine groß gedruckte Botschaft an den örtlichen Polizeichef Willoughby (Woody Harrelson) zu platzieren: Warum habt ihr es nach fast einem Jahr immer noch nicht geschafft, den Mörder und Vergewaltiger meiner 16jährigen Tochter zu finden? Mit dieser öffentlichen Anklage startet Mildred als selbst ernannte Wutbürgerin einen Kleinkrieg gegen die Mehrheitsgesellschaft der Kleinstadt im Stile eines Michael Kohlhaas oder - aktueller - wie Diane Kruger in dem Fatih-Akin-Film „Aus dem Nichts“. Sie trifft dabei auf den dumpfen Hilfspolizisten Jason Dixon (Sam Rockwell), einem lupenreinen homophoben Rassisten und Anhänger der Selbstjustiz, der Probleme am liebsten mit der Faust oder mit der Knarre regelt. Doch auch Mildreds Rachfeldzug (gegen wen eigentlich?) ist nicht von Reflexion sondern von Fußtritten und Molotov-Cocktails geprägt. So entsteht zunehmend eine Lose-Lose-Situation, in der es nur scheiternde Charaktere gibt: Willoughby erschießt sich, weil er weiß, dass er mit seinem Bauchspeicheldrüsenkrebs nur noch wenige Monate zu leben hat, Dixon ist durch massive Brandwunden im Gesicht entstellt und Mildred bemerkt, dass sie an den Schicksalsschlägen in ihrer Familie eine Mitschuld trägt.

Regisseur McDonagh erzählt diese schmerzliche Geschichte mit einem Hauch tragischer Ironie, die von manchen Kritikern als „komödienhaft“ missverstanden wurde, und ohne jegliches Angebot von Identifikationsfiguren oder Anzeichen eines Happy Endings. Die fiktive Kleinstadt Ebbing soll wohl ein parabolischer Brennspiegel (oder das Zerrbild?) eines Landes (oder einer Welt?) sein, in dem die Errungenschaften der Zivilisation, des Rechtsstaates und der Mitmenschlichkeit systematisch außer Kraft gesetzt werden. Wut, Rache, Gefühlskälte und Grausamkeit dominieren, dies alles schlägt sich auch in einer undifferenzierten Fäkalsprache nieder: no country for human beings?

Somit mutet der Film seinem Publikum harte Bilder und harte gesellschaftliche Befunde zu, die aber in ihrer poetischen Kraft und in ihrer Abkehr von Schwarz-Weiß-Klischees viel Nachdenklichkeit erzeugen werden.

In der letzten Szene sitzt Mildred wieder am Steuer ihres Wagens, diesmal überraschenderweise mit ihrem bisherigen Kontrahenten, dem Hilfspolizisten Dixon, der eine Spur zu einem mutmaßlichen Vergewaltiger unter Einsatz seines Lebens eröffnet hat. Sie fahren mit geladener Flinte zu dessen Adresse in Idaho, sind sich im Auto aber noch nicht sicher, ob sie wirklich zum Äußersten schreiten werden …

 

https://www.kino.de/film/three-billboards-outside-ebbing-missouri-2017/


Loving Vincent (Polen/GB 2017)     ****

Drehbuch und Regie: Dorota Kobiela, Hugh Welchman

Laufzeit: 94 Minuten

 

Mit Kunst- oder Künstlerfilmen ist es so eine Sache: viele verbreiten vor lauter Seriosität oder Ehrfurcht bleierne Langeweile. Nicht so bei „Loving Vincent“ - hier ist zum einen der Inhalt durchaus spannend und dazu die Machart höchst überraschend. Nach Angaben der Produktionsfirma haben nämlich 125 Künstler die vorher mit echten Personen gefilmten Szenen in circa 65 000 Öl-Einzelbilder abgemalt, dabei den kräftigen Strich von Vincent van Gogh und viele seiner berühmten Motive imitiert und anschließend die Bilder wieder bewegt abgefilmt - praktisch eine Umkehr der Tableau-vivant-Methode. So entstand ein Zeichentrickfilm ganz besonderer Art, an den sich das Auge zunächst etwas gewöhnen muss, der aber dann ein stimmiges Gesamtkunstwerk entstehen lässt. Gleichermaßen originell ist die Story: Armand Roulin, der Sohn des Postmeisters von Arles wird vom Vater ein Jahr nach dem Tod von Vincent van Gogh auf die Reise nach Paris geschickt, um dort einen noch nicht zugestellten Brief dem Bruder Theo Gogh zu überbringen. Doch auch der lebt nicht mehr, und so fährt Armand weiter nach Auvers-sur-Oise, dem letzten Aufenthaltsort des Künstlers, weil er dort Auskünfte über das Leben und den Tod des Vincent G. erfahren will. Auf diese Weise wandelt sich die Geschichte von einer Künstlerbiografie zu einer Detektivgeschichte. Die Umstände des Todes sind nämlich - bis heute - höchst umstritten: war es wirklich Selbstmord oder ein unglücklicher Unfall? Die Nachforschungen fügen sich einem Puzzle, das Vincent van Gogh als Außenseiter, Selbstzweifler und an der Gesellschaft Leidenden zeigt, der sich in einem ständigen Auf und Ab von Schaffensrausch und Depression bewegte. Ein bewegender und bewegter Film, der im Abspann noch musikalisch ausklingt: mit einer Cover-Version des Don McLean-Songs „Vincent“ von Lianne LaHavas. Der träumende Kinobesucher kann mitsprechen: „And now I understand / what you tried to say to me / how you suffered for your sanity / how you tried to set them free / they would not listen / they did not know how / perhaps they’ll listen now”.

 

http://www.lovingvincent-film.de/#home


Aus dem Nichts (D 2017)     ****

Drehbuch und Regie: Fatih Akin

Laufzeit: 105 Minuten

Darsteller: Diane Kruger u.a.

 

Seit 2013 läuft in München der Prozess gegen Beate Zschäpe, in dem die zehn NSU-Morde und die Sprengstoffanschläge juristisch aufgearbeitet werden sollen. Nun hat auch Regisseur Fatih Akin das Thema für sich entdeckt und zusammen mit Hark Bohm ein Drehbuch entwickelt, das deutlich auf ein Ereignis, nämlich das Nagelbomben-Attentat von Köln (2004) eingeht, die filmische Dramatik jedoch aus einem kompletten Perspektivenwechsel gewinnt.

Hauptperson ist nämlich ein Opfer, Katja Sekerci (Diane Kruger), die bei dem Anschlag ihren Mann Nuri und ihr Kind verloren hat. Aus ihrer Sicht erleben wir die Minuten vor dem Blutbad und ihre Rückkehr an den abgesperrten Tatort. Aus ihrer Sicht erleben wir die polizeiliche Ermittlungsarbeit und die bald folgende Gerichtsverhandlung. Relativ schnell wird nämlich ein Neonazi-Paar, Edda und Andre Möller, als Hauptverdächtige festgenommen. Katja tritt im Prozess als Nebenklägerin und Zeugin auf, muss sich die Rekonstruktion der furchtbaren Tatdetails noch einmal anhören, wird vom fiesen Verteidiger (ziemlich klischeehaft: Johannes Krisch) wegen gelegentlichem Drogenkonsum in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert und muss schließlich einen Freispruch nach dem Motto „in dubio pro reo“ erleben. Damit springt der Film in sein drittes Kapitel (nach „Die Familie“ und „Gerechtigkeit“), in den privaten Rachefeldzug der Ehefrau und Mutter - ganz in der Tradition eines Michael Kohlhaas oder einer Marianne Bachmeier. Am neuen Schauplatz Griechenland („Das Meer“) entwickelt sich ein psychologischer Thriller mit fast Hitchcock-artigen Dimensionen, der Katja im Spannungsfeld von Selbstjustiz und Gewissen vorführt.

Mit „Aus dem Nichts“ ist Akin ein politischer und zugleich spannender Film gelungen, der die Untiefen der Thematik geschickt vermeidet und trotzdem in seiner Aussage eindeutig ist. Polizeiliche Methoden werden in ihrer Fragwürdigkeit angedeutet, rechte Netzwerke werden demaskiert, der Schritt zum reinen Dokumentarfilm wird aber bewusst vermieden. So entsteht ein bildstarker Polit-Thriller mit einer eindrucksvollen Hauptdarstellerin, der zu Recht schon manche Preise eingesammelt hat und vielleicht noch weitere Ehrungen erlangen wird.

 

http://www.warnerbros.de/kino/aus_dem_nichts.html


Wonder Wheel (USA 2017)     **

Drehbuch und Regie: Woody Allen

Laufzeit: 105 Min.

Darsteller: Kate Winslet, Justin Timberlake u.a.

 

Mit Woody-Allen-Filmen ist das so eine Sache: man geht aus Treue (und Interesse) in die alljährliche neue Produktion des mittlerweile 82jährigen. Doch seit einiger Zeit ist das Verlassen des Kinosaals eher mit gemischten Gefühlen (um es vorsichtig auszudrücken) verbunden. Mit „Wonder Wheel“ hat nun Woody A. leider einen neuen Tiefpunkt seiner Karriere als Drehbuch-Autor und Regisseur erreicht. Die Story von der eifersüchtigen Mittvierzigerin schleppt sich - wie das titelgebende Riesenrad - ausgesprochen mühsam durch die 100 Minuten, der Ironie-Faktor ist äußerst gering, der Selbstzitat-Faktor dagegen überdimensioniert. Von dem Film werden in wenigen Wochen nur noch zwei Dinge in der Erinnerung haften bleiben: das interessante Rollenprofil von Kate Winslet als Ginny (allerdings mit eindeutigen Parallelen zu ihrem Auftreten in „Der Vorleser“) und die farbenprächtige, stimmige Kulisse des Vergnügungsparks von Coney Island in den 50er Jahren, die Vittorio Storaro an der Kamera in Szene gesetzt hat. Justin Timberlake ist aber als jugendlicher Liebhaber und die Geschichte mühsam vorantreibender Erzähler eine glatte Fehlbesetzung! Er verdient sein Geld als Rettungsschwimmer und könnte daher glatt in das „Baywatch“-Remake verpflanzt werden. Angeblich studiert er aber Theaterwissenschaft, träumt von einer Karriere als Bühnenautor und liest engagiert die Stücke von Eugene O’Neill. Von dessen inhaltlicher Brüchigkeit ist der Film und sind seine Charaktere jedoch meilenweit entfernt. So lautet das ernüchternde Fazit: seit „Matchpoint“ (2005) ist Woody Allen nur noch ein Schatten seiner selbst.

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/248372.html


The Founder (USA 2016)     ****

Regie: John Lee Hancock

Laufzeit: 115 Minuten

Darsteller: Michael Keaton u.v.a.

 

Ein Name steht für die Geschichte des nordamerikanischen Unternehmergeistes nach dem 2. Weltkrieg: McDonald. Mit einer revolutionären Imbiss-Idee wurde hier ab den 1950er Jahren ein weltweites Gastronomie-Imperium geschaffen, das als Lehrbeispiel für globalen Kapitalismus, profitorientierte Betriebswirtschaft und turbokapitalistische Marktwirtschaft gelten kann. Der Film, für den Robert D. Siegel des Drehbuch geschrieben hat, startet im kalifornischen San Bernardino wo die Gebrüder Richard und Maurice McDonald das Format des amerikanischen Diner in neue Bahnen lenkten: nur ein Gericht (Hamburger + Pommes und Milkshakes), wird ohne Wartezeit an einer Theke abgeholt, in Papier verpackt und ohne Besteck in der Nähe oder im Auto verzehrt. Die Herstellung des Produkts unterliegt dabei einem gnadenlosen Diktat der ergonomischen Effizienz („Time is money“). Die McDonald-Brüder sind mit ihrem lokalen Erfolg zufrieden, doch dann kommt der bislang wenig erfolgreiche Handelsvertreter Ray Kroc (Michael Keaton) ins Spiel. Er sieht in dem beliebten Esshäuschen ein Modell, das man mit den klassischen Unternehmertugenden (Beharrlichkeit, Verkaufstalent, Vision) auf die ganze USA übertragen kann, und in der Architektur des goldenen Bogens entdeckt eine emotionale Ikonografie, die gleichbedeutend mit dem Kreuz über der Kirche und der Stars-and-Stripes-Flagge über dem Rathaus in jeder amerikanischen Ortschaft ihren Platz haben sollte. Damit aber überdehnt er den biederen Qualitätsanspruch der Gründerbrüder und legt den Grundstein für das Kampf-Szenario der neuzeitlichen Marktwirtschaft. Mit Ellenbogen, Tricks und guten Kontakten zur Finanzwirtschaft setzt er sich durch und wird zum alleinigen Besitzer der McDonalds-Idee und damit bald zum Fastfood-Multimilliardär: „die Geschichte wird immer vom Sieger geschrieben“ heißt es auf dem Filmplakat.

Der Film von John Lee Hancock begnügt sich nicht mit nostalgischen 50er-Jahre-Kulissen, er seziert auch sehr analytisch und kritisch-realistisch die Unternehmensphilosophie von Ray Kroc, verfolgt allerdings nicht die späteren globalen Folgen dieser Lebensmittel-Kette und hebt somit einen wesentlichen Teil des McDonalds-Syndroms für spätere Dokumentar(?)-Filme auf. Michael Keaton, der 2014 für seine Hauptrolle in „Birdman“ für den Oscar (nur) nominiert wurde, überzeugt (erneut oscarwürdig) in der Rolle des bedenkenlosen Geschäftsmanns, der Privates und Ethisches knallhart dem Business unterwirft und von der Idee des schnellen Essens und des schnellen Geldes überzeugt ist. Deshalb will er auch seinen Namen zwar in der alleinigen Unternehmensführung, aber nicht auf dem Firmen-Logo sehen: „Kroc? Das klingt slawisch und nicht nach Erfolg.“

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/234023.html


Manchester by the Sea (USA 2016)     ****

Buch und Regie: Kenneth Lonergan

Laufzeit: 138 Minuten

Darsteller: Casey Affleck, Lucas Hedges, Michelle Williams u.a.

 

Es ist eine jener tragischen Geschichten, die gerne von Boulevard-Blättern wie „BILD“ oder Boulevard-TV-Magazinen wie „Brisant“ reißerisch verhandelt werden. Dass man aus einem solchen Sujet aber auch einen eher leisen, differenzierten und zeitweise tragikomischen Film machen kann, beweist Kenneth Lonergan eindrücklich. Zunächst erfährt man nämlich von der schlimmen Vorgeschichte gar nichts, sondern erlebt nur Lee Chandler (Casey Affleck), den etwas mürrischen Hausmeister eines Wohnkomplexes in Boston, der mit finsterem Gleichmut seine Alltags-Routinen abwickelt und am Wochenende gerne mal in eine Bar-Schlägerei verwickelt wird. Ein Telefonanruf bringt die Handlung erst ins Laufen: sein Bruder ist in der kleinen Ostküstenstadt Manchester by the Sea an einem Herzinfarkt gestorben, er hinterlässt seinen etwa 16jährigen Sohn Patrick (Lucas Hedges), für den Lee nun das Sorgerecht übertragen bekommt. Damit muss Lee zurück an die Stätte, an der auch seine eigene Tragik stattgefunden hat. In punktuell eingesetzten Rückblenden erfährt man schließlich von einer Nacht, in der er leicht alkoholisiert sein Haus verlassen hat, um noch etwas im Supermarkt einzukaufen, dabei aber vergaß den Brandschutz vor den offenen Kamin zu stellen. Als er zurückkommt, ist er der fassungslose Beobachter eines brennenden Hauses, in dem seine drei kleinen Kinder ums Leben kommen und aus dem seine Frau Randi (Michelle Williams) schwer verletzt herausgetragen wird. Und die zentrale Frage lautet: kann man nach solch einem Ereignis überhaupt noch weiterleben? Der Film verweigert sich dem US-amerikanischen Optimismus, er stellt die Frage zur offenen Diskussion. Im Ambiente des winterlich grauen Manchesters führt Lee Chandler diesen Abwägungsprozess zwischen Suizid-Versuch und Leben-geht-weiter-Ideologie mit allerdings recht gleichförmiger Gestik (Hände in den Hosentaschen) und Mimik vor. Eine Art Sehnsuchtsort ist für ihn und seinen Neffen das offene Meer, der weite Blick auf einem reparaturbedürftigen Fisch-Trawler. Die ambivalente Leidensgeschichte der beiden Wahlverwandten wird sparsam inszeniert und kann einige Längen nicht ganz vermeiden. Dennoch oder gerade deswegen ist es ein realistisches Stück aus dem zum Glück nicht alltäglichen Leben, das die Blockbuster-Industrie weitgehend aus dem Blickfeld verloren hat.

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/231408.html


La La Land (USA 2016) ****

Regie: Damien Chazelle

Laufzeit: 128 Min.

Darsteller: Emma Stone, Ryan Gosling u.a.

 

Es beginnt mit einem Stinkefinger auf einem verstopften Highway von Los Angeles und es endet mit einer bedauernd hochgezogenen Augenbraue in einem Jazzklub. Dazwischen verläuft die Geschichte von Mia (Emma Stone) und Sebastian (Ryan Gosling), die erkennen müssen, dass die romantische Liebe zwischen zwei von einer Karriere im L.A.-Kulturbetrieb Träumenden funktioniert, dass aber mit den Sachzwängen des Erfolgs die Liebe dahinschwindet. Aus dieser einfachen Erkenntnis hat Damien Chazelle einen höchst unterhaltsamen Film gezaubert, der mit dem Begriff „Musical“ nur ungenau markiert ist. Vielmehr wirkt „La La Land“ (eine treffende Beschreibung der oberflächlichen Hollywood-Kultur) eher wie eine ziemlich nostalgische Mischung aus einer an die Westcoast verlegten West Side Story und einem der Woody-Allen-Filme, die an die verklärte Vergangenheit der US-amerikanische Film-Industrie erinnern wollen („Purple Rose Of Cairo“, „Cafe Society“).

Mia arbeitet in der Cafeteria auf dem Warner-Brothers-Studiogelände und macht eine enttäuschende Casting-Erfahrung nach der anderen. Ein selbstgeschriebenes Solo-Stück präsentiert sie in einem gähnend leeren Theater. Sollte sie vielleicht besser ihren Traum aufgeben und wieder nach New Mexiko zurückkehren?

Sebastian ist ein versierter Jazzpianist, der in L.A. einen Jazzklub aufmachen will, in dem wirklich „echter“ Jazz gespielt wird; doch wer will das hören? So verdingt er sich zunächst zähneknirschend als Hintergrund-Pianist in einem Gourmet-Restaurant und als Synthie-Player in einer Party-Cover Band. Als er von seinem Freund (schöner Cameo-Auftritt von John Legend) das Angebot bekommt, in eine erfolgreiche Jazz-Rock-Band einzusteigen und mit ihr auf Welttournee zu gehen, kann er dem Kompromiss nicht entgehen, behält seinen Traum aber im Hinterkopf. Als aber auch Mia überraschend noch ein Film-Angebot mit Dreharbeiten in Paris erhält, beginnt der Herbst und der Winter ihrer Beziehung. Fünf Jahre später folgt noch ein Epilog, der die oben genannte Erkenntnis stimmungsvoll bebildert.

Der Film lebt von einer glücklicherweise immer wieder ironisch gebrochenen Story, von charmanten Song-Einlagen der beiden Hauptdarsteller (Musik: Justin Hurwitz) und von opulenten Choreografien - vor allem aber von dem angenehm zurückhaltenden und dennoch sehr emotionalen Auftreten von Stone und Gosling (letzterer wirkt aus deutscher Sicht wie eine Kompilation aus Jan Böhmermann und Till Brönner), die damit wehmütige Erinnerungen an das Hollywood-Paar Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann auslösen. Bevor die USA endgültig zum Lie Lie Land werden sollte man sich unbeschwerte Unterhaltung im La La Land gönnen.

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/229490.html


Egon Schiele - Tod und Mädchen (Lux/Ö 2016)    **

Regie: Dieter Berner

Laufzeit: 109 Minuten

Darsteller: Noah Saavedra u. v. a.

 

Nur 28 Jahre währte das Leben von Egon Schiele. Doch nach seiner Zulassung für die Wiener Akademie der Bildenden Künste schon im Alter von 16 Jahren stieg er in den verbleibenden zwölf Jahren unaufhaltsam zum kreativsten Kopf der Wiener Moderne des beginnenden 20. Jahrhunderts auf. Die in Wien 1918 grassierende Spanische Grippe bedeute sein frühes Ende und gleichzeitig den Erzählrahmen für die aktuelle Verfilmung. Von diesem tragischen Tod blendet der Film immer wieder zurück - vor allem auf die fünf Frauen, die Schieles Leben maßgeblich beeinflusst haben: Schwester Gerti, die farbige Varietekünstlerin Moa, Lebenspartnerin und Aktmodell Wally, sowie die gutbürgerlichen Schwestern Adele und Edith Harms. Somit ist Dieter Berners Biopic also keine Auseinandersetzung mit der künstlerischen Wertigkeit und der gesellschaftlichen Rolle Schieles sondern eher eine hübsch montierte Beziehungsgeschichte, basierend auf dem biografischen Roman von Hilde Berger („Egon Schiele und die Frauen“). Hauptdarsteller Noah Saavedra nimmt der Titelfigur zudem viel von seiner Unbotmäßigkeit und gestaltet sie als besessenen Künstler („Ich arbeite immer“), der aber auch als prominenter Schwiegersohn durchgehen könnte. Die Selbstbezogenheit von Schieles Bildern, die problematische Körperlichkeit und die Expression der Preisgegebenheit sind in dem Film nur mit Mühe zu erahnen. Vom Kunstbetrieb, von den Produktionsbedingungen und von den programmtischen Positionen der Wiener Künstlerszene erfährt man wenig, dafür manches, was auch die Yellow Press interessieren dürfte. Für alle Nicht-Österreicher gibt’s zudem noch hochdeutsche Untertitel - immerhin!

 

http://www.egonschiele-derfilm.de/


Café Society (USA 2016)  ***

Regie und Drehbuch: Woody Allen

Laufzeit: 96 Minuten

Darsteller: Jesse Eisenberg, Kristen Stewart u.v.a.

 

Nach überschlägiger Zählung dürfte das Film Nr. 52 sein, bei dem Woody Allen das Buch schrieb und Regie führte - für ca. 50 Jahre im Geschäft eine stolze Leistung. Dass bei einem solchen Kompendium nicht alles gleich gelungen ist, darf als trivial abgehakt werden. Das beliebte Spiel „Was sind die Top 3-Filme von Woody Allen?“ muss jeder für sich entscheiden; der Vorschlag des Autors wäre: 1. Der Stadtneurotiker; 2. Matchpoint; 3. Manhattan. Das aktuelle Kino-Angebot - Premiere war außer Konkurrenz in Cannes - kann auf diesem Niveau keineswegs mithalten. Nachdem Woody Allen mit seinen Exkursionen in europäische Großstädte noch einmal einen kreativen Schub bekommen hat, wirkt „Cafe Society" eher wie ein lustloses Puzzle aus dem Baukasten der Allenschen Film-Motive. Viel Bekanntes wird in eine bescheidene Handlung gepackt: die Welt des Films in der Mitte des 20. Jahrhunderts, der Gegensatz zwischen New Yorker Intellektualität und Westküsten-Oberflächlichkeit, jüdisches Leben in Brooklyn, der Charme der Halbwelt und die Unmöglichkeit von problemfreien Mann-Frau-Beziehungen. So wirkt der Film letzten Endes wie eine prächtig dekorierte Zitatensammlung aus dem Woody-Fundus mit dem omnipräsenten Erzähler aus dem Off. Im Kern geht es um eine pikante Drei- bis Vierecksbeziehung, die mit gewohnter sanfter Ironie ausgespielt wird. Tiefere Hintergründe sind nicht zu entdecken, die Spannung hält sich in Grenzen, die Riege der Schauspieler ist ohne Fehl und Tadel. Wenn man aber über einen Film von Woody Allen „ganz nett“ sagt, ist das kein Kompliment!

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/236050/kritik.html


Willkommen bei den Hartmanns (D 2016) ***

Regie: Simon Verhoeven

Laufzeit: 116 Minuten

Darsteller: Senta Berger, Heiner Lauterbach, Florian David Fitz, Elyas M‘Barek u.v.a.

 

Seit dem Sommer 2015 diskutiert Deutschland heftig über Zuwanderung und Willkommenskultur, da ist es kein Wunder, dass auch der deutsche Unterhaltungsfilm dieses Thema aufgreift. Simon Verhoevens Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“ tarnt sich zunächst als mutig-ironische Soft-Provokation, wird aber im Laufe der knapp zwei Stunden zu einer biederen Mischung aus „Fuck you Salafist“, „Onkel Toms Hütte“ und „Münchner Gschichten“, die zähe staatstragende political correctness und rosaroten Happy-End-Optimismus verströmt. Man stellt sich immer wieder die Frage, was wohl ein Helmut Dietl aus diesem Sujet gemacht hätte.

Im Fokus steht die fünfköpfige Familie Hartmann als repräsentatives Spektrum der gutbürgerlichen oberen Mittelschicht mit großzügigem Haus am Münchner Stadtrand. Der Vater (Heiner Lauterbach) ist Orthopädie-Chefarzt, hat aber heftige Spät-Midlife-Crisis und flüchtet manchmal in die Praxis eines Schönheits-Chirurgen (Uwe Ochsenknecht). Der Sohn (Florian David Fitz) ist weltweit agierender Finanzjurist, der sich wegen vieler Konferenzen in Shanghai zu wenig um seinen Sohn kümmert. Die Tochter (Palina Rojinski) scheint als ewige Studentin auf der Suche nach einem Hochschulabschluss und einem passenden Mann. Diesem familiären Alltags-Wahnsinn - und auch ihrem umfassenden Weinkonsum - will die Mutter (Senta Berger) entfliehen, indem sie beschließt einen Flüchtling im Haus aufzunehmen. Diallo aus Kamerun (Eric Kabongo) gewinnt das Casting und sorgt im Hause Hartmann für verwirrende und entlarvende Momente. Daraus entwickeln sich recht vorhersehbare Beziehungs-Geschichten, das ganze Klischee-Inventar der deutschen Flüchtlings-Debatte von Pegida-Nationalisten über vertrottelte Terror-Fahnder und hyper-aktive Ehrenamtler bis zu gewaltbereiten Antifa-Demonstranten leistet seinen Beitrag. Peinlicher Höhepunkt des Comedy-Treibens ist die gesetzte Rede des Assistenzarztes (Elyas M’Barek) auf einer Dachterrasse, mit der er sich glatt für die Wahl zum Bundespräsidenten bewerben könnte. Man wartet nur noch einen Gastauftritt von Till Schweiger oder Matthias Schweighöfer, doch vorher fällt im Paarfindungs-Spiel die Happy-End-Klappe. Damit hat Verhoeven junior den Beweis auch für den deutschen U-Film abgeliefert: „Wir schaffen das!“

 

http://www.filmstarts.de/kritiken/245299/castcrew.html


Toni Erdmann (D - 2016) *****

Regie: Maren Ade

Laufzeit: 162 Minuten

Darsteller: Peter Simonischek, Sandra Hüller u.v.a.

 

Der Film lief 2016 in Cannes, bekam begeisterte Kritiken und Szenenbeifall im Saal - aber keine Preise. Doch das kann Regisseurin Marten Ade im Nachhinein verschmerzen, denn im Gegensatz zu manchem Cannes-Liebling blieb ihr (mittlerweile dritter) Film noch lange im Gespräch. Der Grund für den Erfolg ist einsichtig: kaum jemand kann eine derartige Balance herstellen zwischen skurrilem Humor und ernster Thematik, wie das hier 162 Minuten lang (ohne wirkliche Ermüdung) geschieht. Es ist zum einen eine Vater-Tochter-Geschichte, zum anderen ein semi-satirischer Blick auf die Welt der Unternehmensberater in der globalisierten Welt. Vater Conradi ist ein pensionierter Musiklehrer, gleichzeitig ein hintersinniger Kauz, der allein mit Hund Willi in einem Aachener Einfamilienhäuschen lebt. Tochter Ines zieht als Unternehmensberaterin durch die Welt des Neo-Kapitalismus, derzeit ist sie in Rumänen mit der „Restrukturierung“ (das heißt im Wesentlichen: Massenentlassungen) einer Ölfirma beschäftigt. Weil der Vater merkt, dass sein Verhältnis zur Tochter gestört ist, entschließt er sich spontan zu einer Reise nach Bukarest. Mit Perücke, falschem Gebiss, Furzkissen und neuer Identität als „Toni Erdmann“ bricht er ungefragt in die Welt des McKinseyanismus ein und sorgt nicht nur bei der Tochter, die er teilweise als seine Chefsekretärin Miss Schnuck ankündigt, für nachhaltige Verstörung. Er palavert im Business-Small-Talk über Ion Tiriac und den Tod von dessen Schildkröte, bezeichnet sich abwechselnd als Mentalcoach oder als Ölmagnat. Letzten Endes wirkt er wie eine Mischung aus Borat und Gerhard Polt, der von einer versteckten Kamera verfolgt wird und die handelnden Personen zu Schweißausbrüchen treibt. Bei seiner Tochter, die von Sandra Hüller mit einer intensiven Mischung aus Karrierefrau und Nervenbündel gespielt wird, führt diese väterliche Belagerung zu einer dauerhaften Sinnkrise, aber auch zu einer möglichen Befreiung aus den Zwängen der kapitalistischen Logik. Sie dominiert auch die drei eindrucksvollsten und ent­hül­lend­sten (!) Szenen des Films: wenn sie bei einer rumänischen Großfamilie Whitney Houstons Hit „Greatest Love Of All“ schmettert (mit Vater Toni am Home-Keyboard), wenn sie mit ihrem Kollegen eine absurde Sex-Szene abliefert und wenn sie spontan ein Firmen-Get-Together in ihrer Wohnung zur Nacktparty deklariert. Da kann dann Peter Simonischek nur noch einen draufsetzen, indem er im Vollkörper-Fellkostüm auftaucht und seine Botschaft verdeutlicht: Die Welt des 21. Jahrhunderts ist nur noch durch Fluchten in die Surrealität zu ertragen.

 

http://tonierdmann-derfilm.de/


Das brandneue Testament (FR/BEL/LUX - 2015) ****

Regie: Jaco van Dormael

Laufzeit: 116 Min.

Darsteller: Benoit Poelvoorde, Pili Groyne, Catherine Deneuve u.a.

 

Wenn die Hauptperson in diesem Film nicht Gott sondern Allah hieße und wenn sie nicht in Brüssel sondern in Riad oder Teheran leben würde, dann müsste Regisseur und Drehbuch­autor Jaco van Dormael mit dem Schlimmsten rechnen. Doch im aufgeklärten Westeuropa kann man sich an einer poeti­schen Mischung aus Blasphemie und Ironie ergötzen, wie das schon die internationale Kritik in Cannes 2015 tat. Van Dormaels bebilderte Geschichte ist märchenhaft, surreal und liebevoll versponnen: Gott lebt als prolliger Haustyrann in einer 3-Zimmer-Wohnung in Brüssel. Als bekennender Mi­santhrop trietzt er seine devote Frau Göttin und die Tochter (!) Éa. Am liebsten aber sitzt er in seinem überdimensionalen Arbeitszimmer und steuert die Weltläufte über einen antiqua­rischen Commodore-Computer. Die kleine Tochter entschließt sich nach einer Rücksprache mit dem verstorbenen Bruder Jesus, dieser patriarchalischen Sklaverei zu entfliehen. Vorher aber hackt sie sich noch unbeobachtet in die göttliche Soft­ware ein und sendet allen Menschen ihr vorherbestimmtes Sterbedatum, was die Prioritäten und das Verhalten fast aller massiv verändert. Dann verlässt Éa über eine Endlos-Waschmaschinentrommel die göttliche Sphäre und macht sich auf der Erde auf die Suche nach sechs weiteren Jüngern. Zunächst fin­det sie einen abgerissenen Obdachlosen, der für sie die Grundsätze des brandneuen Testaments auf­schreiben soll. In sechs Episoden erfährt man dann die Schicksale der neuen Apostel: von der einarmi­gen jungen Frau mit künstlicher Prothese, von dem Angestellten, der einer Vogelschar an den Polarkreis folgt, von dem Peep-Show-Besessenen, der plötzlich eine echte Liebe findet, von dem brutalen Killer, der sein weiches Herz entdeckt, von der reichen Hausfrau (Catherine Deneuve!), die sich einen Gorilla als Lebenspartner aus­sucht, und von dem kleinen Jungen, der für die restlichen Tage seines Lebens ein Mädchen sein möchte. Man sieht, dass bei Dormael die Phantasie wilde Kapriolen schlägt, was auch bei der bildlichen Umset­zung meist kongenial nachvollzogen wird. Dabei dürfte es müßig sein, in der sprunghaften, schelmischen und fabulierfreudigen Story einen tieferen Sinn zu suchen - bis auf den: dass es nie schaden kann die Zeit auf Erden für seine Träume zu nutzen und dass es heute abwegig ist, an die wohlgemeinten Fügun­gen eines lieben Gottes zu glauben.

 

http://www.dasbrandneuetestament-derfilm.de


Er ist wieder da (D - 2015) ***

Regie: David Wnendt

Laufzeit: 116 Min.

Darsteller: Oliver Masucci, Katja Riemann, Christoph Maria Herbst u.a.

 

1945 war Adolf Hitler dann mal weg, 2012 ist er wieder da - jeden­falls in der brillant-provokativen Fiction-Satire von Timur Vermes, die dann auch die Bestseller-Listen im Blitz eroberte. Drei Jahre später nun der Versuch, ein weiteres Mal an dem Erfolg zu saugen: mit ei­ner Verfilmung. Die hat jedoch nur selten den verminten Humor von Timur Vermes‘ Buch, vielmehr erweisen sich die zwei bebilderten Stunden als eine Mischung aus Borat mit versteckter Kamera on tour und leicht schmalziger Medien-Satire. Am Ende weiß man, was man längst schon wissen konnte: dass etwa 15 % aller Deutschen immer noch Sympathien für den NS-Staat und seinen autoritären Führer haben und dass gerade unter Jugendlichen Adolf Hitler mittlerweile einen unpolitischen Pop-Star-Kultstatus hat. Das erfährt man auch, wenn sich Hitler Darsteller Masucci einfach live auf der Straße oder in Kneipen bewegt und die Passanten zu Reaktionen herausfordert. Der Besuch in der NPD-Parteizent­rale ist allerdings nicht original, sondern gefilmt. Regisseur und Drehbuchautor David Wnendt konzen­triert sich auf die Analyse des Privatfernsehens, das begierig auf die Hitler-Schiene aufspringt und in ihm einen Quotenbringer sieht. Warum das noch mit einer Love Story zwischen dem freien Mitarbeiter und einer Studio-Sekretärin unterfüttert werden muss, bleibt rätselhaft. Witzig sind die Talk-Show-Schnipsel, in denen Frank Plasberg, Klaas & Joko und Jörg Thadeusz sich selbst spielen dürfen, flott auch die Kom­mentar-Serien der Original-You-Tuber. Am Schluss folgt noch die politisch korrekte aktuelle Nachbe­trachtung für alle Kinogänger, die die Zusammenhänge nicht verstehen: Haider, Wilders, Le Pen und Pegida-Konsorten als Wiedergänger des einstigen Führers.

 

http://www.constantin-film.de/kino/er-ist-wieder-da/


Spectre (USA/GB 2015 - 148 Minuten) ***

Regie: Sam Mendes

Darsteller: Daniel Craig, Christoph Waltz, Lea Seydoux, Ralph Fiennes u.a.

 

Die Arbeit der James-Bond-Drehbuch-Autoren darf man sich als etwas sehr Gleichförmiges vorstellen. Man muss nur aus dem immerwährenden Agenten-Baukasten mit den Buchstaben A (wie Auto oder Aston Martin) bis Z (wie Zeitschaltuhr) - nicht zu vergessen M und Q - die geeigneten Zutaten heraussuchen und  in eine irgendwie sinnstiftende Reihenfolge bringen. Dazu wirft man mit dem Dart-Pfeil auf einen rotierenden Globus, um ein paar spektakuläre Schauplätze zu ermitteln: diesmal traf es neben London noch das winterliche Österreich, Rom, Marokko und Mexico City. Auch die Hauptdarsteller sind austauschbar, solange sie dem tradierten Rollenmuster entsprechen. Zu Zeiten von Sean Connery wurde aus diesen Ingredienzien eine virile Macho-Show im Ost-West-Konflikt, mit Roger Moore wandelte sich das Ganze zum selbstironischen Kasperletheater mit britischem Humor, über die weiteren Bond-Mimen wollen wir den Mantel des Schweigens breiten. Doch seit Sam Mendes („American Beauty“) am Regiepult sitzt, schleichen sich in das Bond-Ritual neue Zwischentöne ein. Zwar gibt es immer noch den paranoiden Bösewicht (diesmal mit Christoph Waltz als Oberhauser/Blofeld erneut ein Österreicher, was ja aus historischen  Gründen gar nicht so abwegig ist), der gleichzeitig aus dem Bösen Profit schlagen und die Welt zugrunde richten will. Doch plötzlich erleben wir einen weiteren Gegenspieler: den geschmeidigen britischen Geheimdienstchef „C“, der die Dienste synergetisch verschmelzen und das Doppelnull-Programm zugunsten von Drohnen und flächendeckender Überwachung einstellen will (NSA lässt grüßen!). Nur so, glaubt er, sei die Welt noch regierbar, nicht durch lahme Politiker und ineffiziente demokratische Strukturen. Dadurch werden M und Bond zu Gesinnungspartnern des liberalen Rechtsstaats und Daniel Craig dämmert die sensationelle Erkenntnis: eine Lizenz zum Töten ist auch eine Lizenz, nicht zu töten! Deshalb darf auch Bösewicht Waltz am Ende auf die englischen Rechtswege hoffen, weil ihm Bond die finale Kugel verweigert. Für 007 aber entwickelt sich immer mehr eine Endzeit-Stimmung - oder gar ein Rückzug ins Private!?


Bridge Of Spies - Der Unterhändler (USA 2015 - 142 Minuten) ****

Regie: Steven Spielberg

Darsteller: Tom Hanks, Mark Rylance u.a.

 

Der dreifache Oscar-Preisträger Steven Spiel­berg lädt wieder einmal zu einer großen Ge­schichts-Doppelstunde ein und hat dafür ein spannendes Thema aus der Zeit des Kalten Kriegs von den Drehbuchautoren Matt Charman sowie Ethan und Joel Coen ausar­beiten lassen. Mit Hauptdarsteller Tom Hanks ist am Ende großes Hollywood-Kino zu erwar­ten - mit all seinen Stärken und Schwächen. Eigentlich bekommt man in den nie langwei­ligen 142 Minuten zwei Filme, die nur durch die beiden Hauptakteure und durch das zeitliche Konti­nuum zusammengehalten werden. Im ersten „Teil“ erlebt man den aufrechten Rechtsanwalt James Donovan (Tom Hanks), der es wagt, einen russischen Spion, den KGB-Agenten Rudolf Abel (Mark Rylance), mit allen Mitteln des Rechtsstaates zu verteidigen und am Ende eine Todesstrafe zu verhin­dern. Dies ist den späten 50er Jahren mit ihrer groben antikommunistischen Grundstimmung in den USA ein mutiges Unterfangen. Dafür muss man nicht nur böse Blicke in der U-Bahn sondern auch Steinewerfer vor dem eigenen Haus in Kauf nehmen. Die Tatsache, dass die USA auch heute noch gegen „Feinde“ der sogenannten freien Gesellschaft mit rechtsfreien Räumen (Guantanamo) und einem vor­aufklärerischem Strafenkatalog operiert, verschafft dem Thema eine zugleich historisch und aktuelle Dimension. In der Fortsetzung erweist sich dann die nicht gegebene Todesstrafe als sinnvoller Schachzug für einen Gefangenenaustausch zwischen der USA und der UdSSR. Jetzt ist Tom Hanks der clevere Un­terhändler, der es durch nicht immer ganz glaubhaftes diplomatisches Geschick erreicht, dass im geteil­ten Berlin nicht nur der abgeschossene U2-Aufklärungspilot Powers sondern auch noch ein unbefange­ner Wirtschaftsstudent, der sich am 13. August 1961 im falschen Moment auf der falschen Seite der Mauer aufhielt, freikommen. Dabei erlebt Tom Hanks Ost-Berlin aus der doch recht klischeehaften Per­spektive Hollywoods:  grau, kalt, kaputt, unberechenbar und unmenschlich. Aus dem S-Bahn-Fenster sieht er sogar Todesschüsse auf Flüchtlinge, die dann am Ende des Films in einer reichlich pauschalen Parallel-Motivik noch einmal aufgerufen werden. Insgesamt ist aber gegen Spielbergs Form des authen­tischen Ausstattungskinos und des moralischen Erzählens nichts einzuwenden, da der Zuschauer jeder­zeit die Chance hat, der Bildsprache des Kalten Kriegs zu entgehen.


Ab diesem Moment ändert sich was: Abe Lucas (Joaquin Phoenix) lauscht einem Gespräch am Nebentisch
Ab diesem Moment ändert sich was: Abe Lucas (Joaquin Phoenix) lauscht einem Gespräch am Nebentisch

Irrational Man (USA 2015 - 94 Minuten) ****

Regie: Woody Allen

Darsteller: Joaquin Phoenix, Emma Stone u.a.

 

Es steht denkbar schlecht um den Philosophieprofessor Abe Lucas (Joaquin Phoenix): Ein schlabbriges T-Shirt wölbt sich über seinen Bauch, in der Tasche seiner Cordjacke hat er stets den Flachmann mit Single Malt Whiskey parat, die sexuelle Potenz liegt darnieder, er kann zwar vor den andächtig lauschenden Studierenden flockige Pointen über Kierkegaard & Kant, Husserl & Heidegger absondern, mit seiner Wissenschaft scheint er aber fast abgeschlossen zu haben - „Philosophie ist doch nur verbale Masturbation“! (also das komplette Gegenbild zu Richard David Precht!) Dennoch interessieren sich zwei Frauen an der fiktiven Ostküsten-Uni Braylin für ihn: die frustrierte Kollegin Rita Richards (Parker Posey) will ihn im Bett und die empathische Jung-Studentin Jill (Emma Stone) bedauert sein nihilistisches Einsiedler-Dasein. Auf beide lässt er sich halbherzig ein, dabei immer wieder demonstrierend, dass ihm sein Leben eigentlich wurscht ist. Doch dann kommt ein Ereignis, das sein philosophisches Denken und seine Lebensgeister wieder weckt. Am Nebentisch in einem Restaurant hört das Gespräch einer Frau, die sich zutiefst über das Verhalten eines Familienrichters beklagt, der ihr willkürlich das Sorgerecht für ihre Kinder wegnehmen will. Ab diesem Moment changiert der Film von einer ironischen Wissenschafts-Satire zu einer fesselnden Ethik-Diskussion und zu einem Hitchcock-artigen Krimi mit epischen Anleihen bei Dostojewski. Darf man einen bösen Menschen töten, um damit wenigstens eine kleine Verbesserung der Lebenswirklichkeit eines anderen Menschen zu erreichen? Dies vor allem, nachdem Abes langjährige Versuche, am Zustand dieser Welt durch Demonstrationen, öffentliche Aufrufe und Publikationen etwas zu verändern, nicht gefruchtet haben. Lucas entschließt sich zu diesem bizarren (Irr-)Weg und plant den perfekten Mord - mehr sollte man zu der Handlung nicht verraten.

Der mittlerweile fast achtzigjährige Woody Allen, der wohl kein Jahr ohne einen neuen Film aushält, lädt jedenfalls mit „Irrational Man“ zu einem sehr unterhaltsamen Ethik-Diskurs irgendwo zwischen Existenzialismus und US-amerikanischer political correctness ein, nicht ohne diverse Motive seiner früheren Filme punktuell einzubringen.

 

Gast-Kommentar von herms: vier Sterne sind meiner Ansicht nach zu hochgegriffen. Woody Allen hat trotz einer zum Ende hin hitchcock-haften Zuspitzung einfach zu wenig getan für die Handlung und vor allem für etwaige nur angedeutete Nebenhandlungen. Auch die wenig prägnanten Philosophie-Kürzel sind irgendwie beliebig, und das Ostküsten-College ist auch nicht sehr liebevoll karikiert und illustriert. Hinzu kommt, dass mir Emma Stone für diese Rolle nicht genug an Ausstrahlung bietet, aber das kann man sicher auch anders sehen. Schauspieler-Kino eben, das man mögen muss - oder auch nicht, insbesondere dann, wenn man den Eindruck gewinnt, dass sich Woody Allen in "Matchpoint" noch mehr angestrengt hatte...


Der Staat gegen Fritz Bauer (D 2015 - 105 Min.) ****

Regie: Lars Kraume

 

Am Anfang des Films steht ein Dokument: eine Fernsehansprache, die Fritz Bauer, hessischer Generalstaatsanwalt, aus Anlass des Eichmann-Prozesses 1961 ans deutsche Publikum richtet. Die Jugend, so zeigt es später auch der Film, kann er damit erreichen - die Älteren eher nicht. Der Beginn des Films von Lars Kraume belegt dessen dokumentarische Ambition. Aktuelle Filme zur Nachkriegszeit wie der ganz ähnliche Themen berührende „Hannah Arendt“-Film (Regie: Margarethe von Trotta, D 2013) und vor allem das „Labyrinth des Schweigens“ (Regie: G. Ricciorelli, D 2014, für den Oscar nominiert) sind meist farbiger, bunter, dabei verräuchert und wirtschaftswunderlich. Der neue Kraume-Film ist dagegen eher noch „schwarzweiß“-formatig, die Farben sind sehr herbstlich-grau und gedämpft, sie transportieren keine Aufbruchsstimmung. Das passt sehr genau auf die Situation der Hauptperson anno 1957: Der Dauerraucher Fritz Bauer wird von Burghart Klaußner großartig als schwäbelnder, hustender, immer wieder an sich und der Welt zweifelnder und dennoch aufrechter Eremit in einer bräunlich-reaktionären Justizwelt gezeichnet, die ihn ausstoßen möchte. Doch lässt sich Bauer - politisch gestützt vom hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn - nicht beirren in seiner Jagd auf die kleinen und vor allem großen Vollstrecker des Bösen, die sich hier auf die Person Adolf Eichmanns fokussiert. Bauer verkündet ja eine „persönliche“ Niederlage, als er den Prozess gegen Eichmann in Jerusalem und nicht - wie von ihm gewollt - in Frankfurt kommentiert. Dass und wie aber der „Vollstrecker der Banalität des Bösen“ zur Strecke gebracht wird, ist der beachtliche Plot des dadurch nicht unspannenden Films, den Lars Kraume routiniert und nüchtern mit guter Schauspielerführung und raschen Schnitten umgesetzt hat. Die Nebengeschichte um den jungen Staatsanwalt Angermann (Ronald Zehrfeld mimt ihn sehr präsent) und der jazzige Filmsound machen nebenbei mit einer spießig-muffigen Grundstimmung vertraut, die schwüle Homoerotik in Nachtlokalen ansiedelt. Dadurch wird die zweite, neben seiner jüdischen Abstammung Fritz Bauer weiterhin belastende Dimension seines Privatlebens (die ihm formal angetraute Ehefrau lebte in Kopenhagen) nicht immer ganz stilsicher im Film thematisiert. Dass Bauer freilich „Landesverrat“ begehen musste, um den Mossad-Leuten Eichmanns Versteck in Argentinien zu verraten und so gesehen die „Bewältigung“ der Nazi-Gräuel in der westdeutschen Gesellschaft einzuleiten, ist die eigentliche Pointe dieses überzeugenden Films, der einem großen Deutschen ein hoffentlich publikumswirksames Denkmal setzt. Der Schwabe Fritz Bauer war einsam und doch erfolgreich bemüht, als Staatsanwalt nicht nur Ansprüche der Staatsräson zu vollstrecken, sondern Ansprüche einer gerade auch Menschen- und Grundrechte verwirklichenden Staatsordnung gegen Menschheitsverbrecher umzusetzen. Lars Kraumes Film liefert dazu eindrucksvolles Kino.

Gastkritik von herms


Hubert von Goisern - Brenna tuat‘s schon lang (D/Ö 2015 - 95 Min.) ***

Regie: Marcus H. Rosenmüller

 

Hubert Achleitner, der sich in einer Art Hassliebe den Künstler­namen Hubert von Goisern zugelegt hat, sitzt in einer Zille mit Elektromotor auf dem Hallstätter See, wirft die Angel aus und spricht bedächtig ein paar grundsätzliche, aber nicht besonders überraschende Sätze zum Sinn des Lebens. Das ist der Rahmen des Dokumentarfilms von Marcus H. Rosenmüller, der die be­wegte musikalische HvG-Geschichte der letzten knapp 30 Jahre erzählen will. Er zeigt den Weg vom rebellischen Alpin-Rocker, zum empathischen World-Musiker, der sich immer dem blinden Kommerz verweigert hat und so zu einer Kultfigur der nachhalti­gen Musikszene geworden ist. Leider fehlt der Dokumentation die gedankliche Tiefe, die Hubert auf dem Boot vorgaukelt. Die span­nungsvolle Auseinandersetzung zwischen traditioneller Volksmusik und jenem Musikantenstadl-Syn­drom, die auch an von Goisern nicht spurlos vorüber gegangen ist, wird nur angetippt. Seine partielle Nähe zum Lederhosen-Krach-Rock a la Zillertaler Schürzenjäger wird unterschlagen. Der Film will (zu) viel, verliert sich in zahlreichen Doku-Schnipseln, Konzert-Szenen und erstaunlich vielen Aussagen von Wegbegleitern, die natürlich die Hauptfigur recht unkritisch beleuchten. So entsteht insgesamt der Ein­druck eines Werbe-Personality-Films, den der viel beschäftigte Regisseur nebenbei abgedreht hat.


Der große Trip - Wild (USA 2014 - 116 Min.) **

Regie: Jean-Marc Vallée

Darsteller: Reese Witherspoon, Laura Dern u.a.


Durch Wilhelm Meister und spätestens seit Hape Kerkeling weiß man, dass längeres Wandern zur Stabilisierung der eige­nen Persönlichkeit beitragen kann. Aus der Wanderschaft der frühneuzeitlichen Handwerker sind heute allerdings eher Ext­rem-Touren mit existentieller Selbsterkundung geworden. So einen Versuch, der langjährigen Lebenskrise zu entfliehen, be­schreibt die Amerikanerin Cheryl Strayed (vielsagendes Pseu­donym!), aus ihrem Buch hat Nick Hornby im Auftrag der Pro­duzentin und Hauptdarstellerin Reese Witherspoon ein Dreh­buch konstruiert, das zum einen ca. drei Monate Alleinwande­rung auf dem Pacific Crest Trail (ca. 1600 km) nacherzählt, zum anderen zahlreiche Rückblicke in die Vorgeschichte der Haupt­person einbaut. Diese ist von extremen Schicksalsschlägen ge­pflastert: Krebstod der Mutter (Laura Dern), Tötung des Lieb­lingspferdes, Scheidung, Heroinsucht, ungesunde Promiskuität. Dem schwarzen Loch will Cheryl entrinnen, kauft sich eine überdimensionierte Wanderausrüstung und nimmt in Südkalifornien die Tour auf. Nach harten - und dennoch zeitweise heiteren - Anfangstagen findet sie ihren Rhythmus, trotzt der Hitze, dem Schnee und dem Regen und notiert literarisch wertvolle Epigramme in ihrem Tagebuch. Warum einen das trotzdem ziemlich kalt lässt, liegt an dem sehr konven­tionellen Strickmuster des Films, an den wenig eindringlichen Natur- und Landschafts-Aufnahmen und an einer fast beliebig erscheinenden Episoden-Revue auf dem Trail. Die krisenhafte Vorgeschichte wirkt in ihrer massiven Übersteigerung recht klischeehaft. Die ambitionierte Anstrengung von Schauspielerin Reese Witherspoon, sich von ihrem Rollenmuster zu befreien, endet als zähe Wandergeschichte und als zwangsläufig (?) positive Schlussperspektive. Sieht so Lebenshilfe im amerikanischen Kino aus?


Frau Müller muss weg!

Deutschland 2014 - 87 Min. ****

Regie: Sönke Wortmann

Darsteller: Anke Engelke, Alwara Höfels, Ken Duken u.a.

 

Man hat es nicht anders erwartet: der „Gott des Gemetzels“ hat seine Anhänger auch bei Elternabenden in deutschen Klassen­zimmern. Denn wenn es um das vermeintliche Wohl des eigenen Kindes geht und die Selektionsentscheidung zwischen Gymna­sium und Restschule ansteht, bröckelt die zivilisatorische Fassade bei vielen Eltern und verschüttete atavistische Verhaltensweisen brechen wieder durch. Lutz Hübner hat im Auftrag des Dresdner Staatsschauspiels 2010 das Kammerspiel geschrieben, nach er­folgreichen Theateraufführungen hat nun Sönke Wortmann den Stoff fürs Kino aufgegriffen. Zunächst scheinen die Fronten in der Dresdner Juri-Gagarin-Schule geklärt. Fünf Elternteile fordern von der Klas­senlehrerin Müller (Gabriela Maria Schmiedel), dass sie ihre 4. Klasse abgibt, weil sie befürchten, dass wegen der schlechten Noten der Übertritt ans Gymnasium gefährdet ist. Doch bald entwickelt sich ein munteres Aggressions-Spielchen jeder gegen jeden, bei dem - wie in Yasmina Rezas Beststeller - unschuldige Blumen zerdep­pert werden, dazu aber auch unfreiwillige Tauchgänge im Schulschwimmbecken stattfinden, Ausstel­lungs-Vitrinen mit Kastanien-Männchen zu Bruch gehen und blutige Nasen geschlagen werden. Es ist das Verdienst des Drehbuch-Teams (Lutz Hübner, Sarah Nemitz und Oliver Ziegenbald), das soeben auch den Bayerischen Filmpreis erhalten hat, dass die Abgründe von Klischee und Klamauk weitgehend um­schifft werden und bei aller Komik doch noch der Blick auf die fehlende Solidarität in einer Ellenbogen-Gesellschaft erkennbar bleibt. Eine originelle Schlusspointe und ein Abschleppwagen beenden den unterhaltsamen Film über die Klassen-Zimmerschlacht, der nicht nur GrundschullehrerInnen ansprechen sollte.


Skeptischer Stanley: Kann Sophie wirklich hellsehen?
Skeptischer Stanley: Kann Sophie wirklich hellsehen?

Magic In The Moonlight ****

USA 2014 - 97 Min.

Regie: Woody Allen

Darsteller: Colin Firth, Emma Stone u.a.

 

In der Weihnachts- und Neujahrszeit bekommt man zahlreiche wohlmeinende Grüße, teilweise mit banalem Inhalt, teilweise auch mit sehr nachdenkenswerten Zeilen wie z. B. den fol­genden: „Wenn Leben nicht etwas ist, was sei­nen letzten Grund in sich selber trägt, bedarf es eines transzendentalen Grundes - und den nennen die philosophische Tradition und der christliche Glaube Gott“. (Dominikaner-Pater Jean Michel Maldamé)

Ein paar Tage später geht man ins Kino und wird überraschenderweise mit derselben These - allerdings zunächst ex negativo gedacht - konfrontiert. Somit ist Woody Allens „Magic In The Moonlight“ - denn um diesen Film handelt es sich - keineswegs nur eine „romantische Komödie“ sondern vielmehr eine spielerisch leichte, aber sehr erhellende philosophische Abhandlung über die Beziehung des Menschen zur Trans­zendenz, ein Thema, das den aufgeklärten Juden Woody Allen schon seit langem begleitet. Er demons­triert die Problematik an der Hauptperson Stanley Crawford (Colin Firth), einem gefeierten Illu­sionisten der 1920er Jahre, der zwar das (einfältige) Publikum mit seiner Magie bezaubert, ansonsten aber ein vollkommen agnostischer, zynischer und leicht egomanischer Skeptiker ist. Für ihn, der als chi­nesischer Hexenmeister Wei Ling Soo die Bühnen betritt und dort Elefanten verschwinden lässt oder Frauen zer­sägt, ist - mit Nietzsche - Gott längst tot und jedwede Spekulation über eine Geisterwelt hirn­rissige Scharlatanerie. Da muss ihn natürlich die junge Hellseherin Sophie Baker (Emma Stone) heraus­fordern, die bei reichen Leuten an der Côte d’Azur Verbindungen ins Jenseits arrangiert. Doch zu seinem großen Bedauern kann er ihre übersinnlichen Fähigkeiten nicht rational widerlegen und entschließt sich kurzzei­tig zu einem Kurswechsel in seiner Lebenshaltung. Als seine Tante einen schweren Autounfall erleidet, betet er sogar zu Gott für ihre Genesung! Aber Drehbuchautor Allen hat noch zwei originelle Wendun­gen in petto: plötzlich entpuppt sich Sophie doch als Betrügerin, die Stanley nur mit Hilfe seines Freun­des und Zauber-Konkurrenten Howard Burkan hinters Licht geführt hat. Für Stanley ist allerdings die Rückkehr in seine ursprüngliche Nüchternheit versperrt, denn er erlebt nun eine neue Magie: die Magie der Liebe!

Hinter schönen Landschaften und stilvollen Kostümen verhandelt Woody Allen also in dieser dialogrei­chen und natürlich stets ironischen Komödie eine gewonnene Altersweisheit: der Mensch ist zum kon­sequenten Rationalismus nicht geschaffen, irgendeine Form von Magie braucht er zum Über-Leben!


Hannah Arendt ****

D 2013 - 90 Min.

Regie: Margarethe von Trotta

Darsteller: Barbara Sukowa u.a.

 

In der Filmografie der Margarethe von Trotta lässt sich durchaus eine Sequenz mit dem Leitmotiv "Starke Frauen" (oder auch: "Linke Leitfiguren") er­kennen. Nach Katharina Blum, Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen hat sich die Regisseurin nun mit der politischen Theoretikerin Hannah Arendt beschäftigt. Das Leben dieser jüdischen Deutsch-Amerikanerin (1906 - 1975) ist geprägt von den Ver­werfungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Film mit dem schlichten Titel "Hannah Arendt" konzentriert sich jedoch fast nur auf die Jahre 1960 - 1964, in denen Arendt als Professorin am Brooklyn College in New York arbeitet und der Zeitschrift "New Yorker" anbot, als Gerichtsreporterin nach Jeru­salem zum Prozess gegen Adolf Eichmann zu reisen. Aus dieser Beobachtung und dem Studium der Ge­richtsprotokolle erwuchs dann eine Artikelserie und ein Buch mit dem Titel "Eichmann in Jerusalem": Der Untertitel erlangte bald Berühmtheit als strittiges Schlagwort: "Ein Bericht von der Banalität des Bösen". Auch ihre kritische Bewertung der europäischen Judenräte, die mit den Nazis in gewisser Weise kooperierten, lösten bei der jüdischen Community massive Vorwürfe gegen die Autorin aus. Vor diesem Hintergrund zeigt der Film eine resolute, differenziert denkende Frau, die sich von intellektuellen New Yorker Freunden und von jüdischen Bekannten missverstanden fühlt. Drohbriefe und ein mögliches Berufsverbot begleiten die Denkerin abseits der political correctness - nur wenige Personen bleiben auf ihrer Seite. Dier Mischung aus Debatten min der New Yorker Wohnung, Originals-Aufzeichnungen vom Eichman-Prozess und Szenen aus Uni-Vorlesungen hätten allein für eine spannende und gleichzeitig dokumentartische Handlung gereicht. Leider konnte es ich die Regisseurin von Trotta nicht verkneifen, Rückblenden in die Studentenzeit von Hannah Arendt in Marburg einzubauen, wo sie offensichtlich ein Verhältnis mit Martin Heidegger hatte, das aber durch dessen NS-Nähe 1933 erkaltete. Für die Erklärung von Arendts Positionen zum Totalitarismus im Allgemeinen, zum NS-Staat im Besonderen und zum Ho­locaust leistet die jugendliche Affäre allerdings wenig. In Erinnerung bleiben in jedem Fall eine facetten­reiche Darstellerin Barbara Sukowa, die die Theorie der Professorin mit Leben erfüllt, und ein illustres Ensemble in den weiteren Rollen (Michael Degen, Axel Milberg, Ulrich Noethen, Julia Jentzsch). Zur im­mer wieder aktuellen Schuldfrage bietet der Film einen erhellenden Beitrag, ganz im Sinne von Hannah Arendts keineswegs relativierender Aussage: "Wer hat je behauptet, dass ich, indem ich ein Unrecht beurteile, unterstelle, selbst unfähig zu sein, es zu begehen."


Im Labyrinth des Schweigens ****

D 2014 - 122 Min.

Regie: Giulio Ricciarelli

Darsteller: Alexander Fehling, Gert Voss u.a.

 

Die Geschichte der Aufarbeitung der NS-Vergan­genheit und insbesondere der NS-Verbrechen durchlief in der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 höchst unterschiedliche Phasen. Während in den ersten etwa 15 Jahren das Prinzip des Ver­drängens und Verschweigens in Kombination mit einer Schlussstrich-Ideologie vorherrschte, welche durch eine unbestreitbare Elitenkontinuität in Justiz und Verwaltung begünstigt wurde, setzte in der Mitte der 60er Jahre eine sehr intensive und (selbst-)kritische Beschäftigung mit dem Thema ein, die dann in der Folge am Ende des 20. Jahrhunderts eine Art „Sättigung“ hervorrief - markiert etwa durch Martin Walsers Schlagwort von der „Auschwitzkeule“. Heutige Schüler werden in recht umfassender Weise mit den Ereignissen der Jahre 1933 - 1945 konfrontiert, eine Reihe von Gedenkterminen sorgt auch für das Nicht-Vergessen bei der breiten Öffentlichkeit. Insofern ist es interessant, einen Blick zu­rück in die Jahre des westdeutschen Wirtschaftswunders zu werfen, wo - wie oben angedeutet - eher eine Mauer des Schweigens errichtet wurde. Der Film „Im Labyrinth des Schweigens“ unternimmt nun den Versuch, einen bedeutenden Wendepunkt, nämlich die Vorbereitung und Durchführung des Frankfurter Auschwitzprozesses 1959 - 1965 darzustellen. Dabei bedient sich Regisseur und Drehbuch­autor Giulio Ricciarelli sehr konventioneller dramatischer Mittel: es gibt den jugendlichen Helden (hier Alexander Fehling als Staatsanwalt Johannes Radmann), es gibt die Verwicklungen einer Liebesge­schichte (Friedrike Becht als Marlene Wondrak) und es gibt die Spannungsmomente eines Justiz-Krimis. Im Hintergrund arbeitet als weiser und unbestechlicher Ratgeber der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer - die letzte große Rolle von Gert Voss. So entsteht ein ausgesprochen unterhaltsames Semi-Doku-Drama mit authentischem Zeitkolorit, das dankenswerterweise nicht in platte Schwarz-Weiß-Kli­schees verfällt. Die Gegenspieler werden differenziert präsentiert, der junge Staatsanwalt verrennt sich zeitweise in einen Kohlhaasschen Rachefeldzug und muss letztlich einräumen, dass ihn nur die Gnade der späten Geburt von Schuld freigehalten hat. Demgegenüber entpuppt sich der angepasste Ober­staatsanwalt (Robert Hunger-Bühler) keineswegs als eindimensionaler Alt-Nazi, sondern eher als prag­matischer, bürgerlicher Realo. Das juristische und private Happy End wirkt somit nicht konstruiert. Ins­gesamt lohnt sich der Film als kurzweilige Geschichtsstunde über die jüngere deutsche Vergangenheit.


Gast-Kommentar von Filmkritiker und Jura-Profi "herms": Die Parallelen zwischen "Hannah Arendt" und "Labyrinth des Schweigens" erschöpfen sich nicht nur im zeittypischen Zigaretten-Gequalme, das im Kino gefühlte schlechte Luft erzeugt. Die Außenseiterstellung der Einen wie des Anderen in einer Nachkriegsgesellschaft der Verdrängung von gerade erst vergangenen unfassbaren Gräueln macht noch heute Angst. Unsere heutigen Junglehrer/innen sind gut beraten, das bald vergessene Thema angesichts vor allem des "Labyrinth"-Films wieder neu aufzugreifen. Die Nachkriegsgesellschaft in der jungen BRD wird recht plastisch bebildert und vertont, es fehlen keine Stereotypen, es bleibt aber dennoch recht spannend und wird niemals platt, vielleicht mit Ausnahme der kurzen Gewissensbefragung und Liebeszweifel des jungen Staatsanwalts, der am Ende doch noch in die Spur findet. Wir fragen nur verzweifelt, was denn Marlene ohne ihn anfangen soll ... Insgesamt hat das der Regisseur trotz deutsch-verkopfter Dialoge und überzogener Nahaufnahmen auf den Fehling-Charakterkopf doch richtig gut gemacht, so dass vier Sterne vom Cooltourist wirklich berechtigt erscheinen.


Monsieur Claude und seine Töchter **

FR 2014 - 97 Min.

Regie: Philippe de Chauveron

Darsteller: Christian Clavier, Chantal Lauby u.a.

 

Könnte es sein, dass es in Frankreich eine staatliche Filmförderungs-Behörde gibt, die den Auftrag hat, seichte Komödien zu protegieren, die die sozialen Gegensätze kaschieren? Jedenfalls sind nun schon zwei Filme aufge­taucht, die mit "radikalem Witz und schonungsloser Provo­kation" (so sehr vollmundig das Programmheft) die Span­nungen zwischen Arm und Reich, bzw. zwischen einzelnen Ethnien thematisieren wollen. Nach dem grandiosen Kas­senerfolg von "Ziemlich beste Freunde" ist nun Monsieur Claude (Verneuil) mit seinen Töchtern auf Kino-Tournee. Der Zufall - oder das arg konstruierte Drehbuch - will es, dass alle vier Töchter keinen "echten" Franzosen, sondern einen Juden, einen Araber, einen Chinesen und einen Farbi­gen von der Elfenbeinküste heiraten. Das strapaziert natürlich die Nerven von Patriarch Claude, der als wohlhabender Notar ein eh­renwerter Gaullist und keineswegs ein Anhänger von Le Pens Front National ist. Doch die multikulturellen Schwiegersöhne sind dankenswerterweise sozial höchst angepasst und stets fähig, die französische Nati­onalhymne abzugrölen. Somit darf nach mancherlei Verwicklungen der Film auch sicher in das Happy End mit Friede, Freude, Eierkuchen steuern und Vater Claude bei der Hochzeit seiner jüngsten Tochter enthemmt zu einem World-Disco-Sound auf der Terrasse seines noblen Anwesens tanzen. Es fehlte nur noch, dass zum Finale Francois Hollande mit dem Hubschrauber einschwebt und dem ganzen seinen prä­sidialen Segen schenkt.


Fack ju Göhte *

D 2013 - 118 Min.

Regie: Bora Dagtekin

Darsteller: Elyas M’Barek, Karoline Herfurth, Katja Riemann u.a.

 

Eine kleine Kino-Sensation ist aus dem Land der Dichter und Denker zu vermelden: nach nur zwei Monaten Laufzeit katapultierte sich "Fack ju Göhte" an die Spitze der deutschen Besucher-Charts. Warum? Weil offensichtlich der von Super RTL, Pro 7 und Super-Illu geprägte deutsche Medien-Konsument in diesem Film genau das vorfindet, was sein kleiner Geist ohne Anstrengung goutieren möchte: eine Mischung aus grenzdebiler Brachial-Comedy und rührender Sozial-Romantik. Besonders die weit verbreiteten Klischees über den Schulbetrieb (zu dem ja jeder seine eigenen Erfahrungen abrufen kann) scheinen es dem Drehbuchautor und Regisseur Bora Dagtekin ("Türkisch für Anfänger") angetan zu haben. In der Goethe-Gesamtschule finden wir wie in einem Schmelztiegel alles, was Stammtisch und Boulevard schon immer vermutet haben: suizid-gefährdete Lehrer mit Burn Out (Uschi Glas), zynische Direktorinnen (Katja Riemann), überforderte Lehramtsanwärterinnen (Karoline Herfurth), dazu kreuzbrave Siebtklässlerinnen, Informatik-Nerds und besonders die prollige 10b mit dem ganzen Arsenal an Big-Brother- und No-Future-Kids. In diese Welt bricht - o Wunder der Handlungsführung - der Ex(?)-Zuhälter Zeki Müller (Elyas M’Barek) ein und mischt mit intellektuell unverdorbener Macho-Pädagogik den ganzen Haufen auf. Die sogenannten Gags stammen aus dem verstaubten Fundus des deutschen "Hilfe-die-Schule-brennt"-Kinos, die sogenannte Jugendsprache entlarvt sich schon auf dem Kinoplakat, wo die beiden Hauptdarsteller als "Elyarsch" und "Herfurz" tituliert werden - sehr witzig! Dass es dem Pseudo-Lehrer Zeki sogar gelingt, seine bildungsferne 10 b zur Lektüre von Schillers "Reuba" zu animieren, ruft wehmütige Erinnerungen an den DDR-Proletarier Edgar Wibeau und dessen Rezeption von "Werther" hervor. Und in der Theater-AG proben die Schüler "Romeo und Julia" (von Shakes-Bier?) so wie sich Lieschen Müller das moderne Theater vorstellt. Am Ende wird aus dem Chaos Schule noch ein pädagogisch wertvoller und politisch korrekter Schluss gezogen - weiterer Beweis für die bemerkenswerte Schlichtheit dieses Filmprodukts. Über fünf Millionen Menschen haben sich bisher dafür mit Popcorn-Eimern in die Multiplexe geschoben - da drängt sich zwangsläufig der alte Slogan auf: "Esst Scheiße - Millionen Fliegen können nicht irren!"

P.S. Für 2014 ist Teil 2 angedroht!


Inside Llewyn Davis *****

USA 2013 - 92 Min.

Regie: Joel & Ethan Coen

Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman u.a.

 

Wenn Llewyn Davis seinen Vornamen buchstabieren muss, sollte er einfach mit zwei L wie loser beginnen. Denn darauf ist der ambitionierte Folkmusiker, der mit Cordjacke und Gitarrenkoffer durchs winterliche Greenwich Village der 60er Jahre streift, programmiert. Mit der Karriere geht es nicht voran, er spielt im Gaslight Cafe für Trinkgelder im basket und ein großer Karton unverkäuflicher Langspielplatten steht herum. Dazu schläft er fast jede Nacht auf einer fremden Couch, hat dabei schon die Freundin seines Freundes geschwängert und den Kater eines Uniprofessors unfreiwillig in die Freiheit entlassen. In dieser äußerst sympathischen Charakterstudie konzentriert sich der Film "Inside Llewyn Davis" von den Brüdern Joel & Ethan Coen. Dabei wollen sie nicht nur semidokumentarisch die damalige Folk-Szene (mit Künstlern wie Dave van Ronk, Phil Ochs oder Tom Paxton) spiegeln, sondern auch - ein bisschen wie Woody Allen - die Jugendkultur jener Zeit in New York andeuten. Ganz neue Dimensionen / Abgründe erreicht der Film aber, wenn Llewyn auf einer kalten Autofahrt nach Chicago auf zwei skurrile Typen trifft (John Goodman, Garret Hedlund), die den Ausflug zu einem Alptraum a la Jim Jarmuch machen. Als perfekte Zugabe zu einem atmosphärisch beeindruckenden Film erweist sich der von T Bone Burnett produzierte Soundtrack. Hauptdarsteller Oscar Isaac ist als Nicht-Profimusiker ein absoluter Glücksfall, der den Folk-Blues in der Stimme und das Merle-Travis-Picking in den Fingern hat. Weitere Beiträge kommen u. a. von Justin Timberlake (!) und Michael Mumford. Ganz am Ende schlurft noch ein hagerer Kerl auf die rauchige Bühne des Gaslight Cafés: es ist ein gewisser Bob Dylan und er singt "Farewell" - eine bislang unveröffentlichte Aufnahme aus dem Jahre 1964. Jener soll übrigens danach auf dem Sofa des Mentors Dave van Ronk geschlafen haben. Nicht zu Unrecht sprechen viele Kritiker von einem Meisterwerk, das (wie etwa "No Country For Old Men") einen Oscar verdient hätte.


Blue Jasmine ****

USA 2013 - 95 Min.

Regie: Woody Allen

Darsteller: Alec Baldwin, Cate Blanchett, Sally Hawkins u.a.

 

Sollte der Chefzyniker Woody Allen plötzlich zum altersmilden Romantiker geworden sein? In seinem neuen Film "Blue Jasmine" stellt er uns zunächst die Kritik einer Lebenswelt vor: die New Yorker Finanz-Hai-Society, in der die stilsichere Jasmine (Cate Blanchett) den vermeintlichen Super-Reichtum ihres Ehemanns Hal (Alec Baldwin) genießt. Doch hinter der glänzenden Fassade stecken hochriskante - letztlich in die Katastrophe führende - Spekulationen und fortgesetzte eheliche Untreue von Seiten des Gatten. Somit muss die mittellose Jasmine Zuflucht bei ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins) in San Francisco suchen. Diese ist Kassiererin in einem Supermarkt und mit dem Hilfsarbeiter Ginger befreundet. Der cultural clash ist unvermeidlich, weil Jasmine ihr tendenziell arrogantes Verstellspiel fortsetzt und dann tragisch in einer neuen Liebesbeziehung mit dem aufstrebenden Politiker Dwight scheitert.

Soweit ist das alles die wohlbekannte Gesellschafts-Satire nach Art des Hauses Woody Allen. Doch plötzlich zündet er am Ende zwei kleine Lichtlein der Hoffnung an: zum einen die Beziehung zwischen Ginger und Chili, die eine bescheidene Zweier-Idylle beschwören und zum anderen das erneute Auftauchen des Sohnes von Jasmine, der als Second-Hand-Gitarren-Händler seine Verwirklichung in bewusster Abgrenzung zu den Eltern gefunden hat.

Das letzte Bild des Films ist aber wieder der fast schon antiken Tragödie mit immenser Fallhöhe gewidmet. Jasmine sitzt allein auf einer Parkbank in San Francisco und redet wirr vor sich hin.

Eine Paraderolle für die nuancenreiche Cate Blanchett und eine neue Facette in der langen Filmographie des Woody Allen.

 

Gegengutachten des freien Mitarbeiters Joe Jackson:

... komme ich bei Blue Jasmine zu einem ganz anderen Ergebnis:

Klischeehaft, oberflächlich, überkonstruiert (etwa mit dem Märchenprinzen, der plötzlich auf der Party in San Francisco auftaucht) und eigentlich unnötig. Eine abgehobene Kritik an den Finanzwelt-Gaunern aus der High-Society-Ecke (vielleicht hat Woody ja auch Geld verloren und versucht jetzt seine private Rache), die jede Tiefe - und übrigens auch fast jeden Woody-Allen-Witz - vermissen lässt. Ich habe mich selten im Kino so gelangweilt, deswegen von mir höchstens zwei Sterne.


Liberace ***

USA 2013 - 116 Min.

Regie: Steven Soderbergh

Darsteller: Michael Douglas, Matt Damon u.a.

 

Was heute Elton John und Lady Gaga sind, war in den 70er Jahren Liberace (Michael Douglas) in einer Person.

Als virtuoser Pianist, Entertainer in Las Vegas und Superstar der pompösen Shows lag ihm weltweit ein Millionenpublikum zu Füßen. Auf der Bühne und im Privaten erhob er Luxus und Glamour zu seinem Lebensstil. Lange Pelzmäntel, glitzernde Kostüme, goldene Kerzenständer und massenhaft teurer Schmuck waren seine Markenzeichen. Mehrere Rolls-Royce zählten zu seinem Fuhrpark, alleine 39 Flügel schmückten seine private Villa. Alles gab es im Überfluss - und er selber sagte einmal: "Too much of a good thing is wonderful".

Im Sommer 1977 betritt ein attraktiver Jüngling nach einem großen Auftritt seine Garderobe: Scott Thorson (Matt Damon), ein einfacher Junge aus der Provinz, der von Liberace zum Prinzen an seiner Seite verwandelt wird. Zwischen den beiden entwickelt sich eine enge, über Jahre streng geheim gehaltene Affäre. Eine tragisch-faszinierende Liebesgeschichte, die immer intensiver wird – und die im Laufe der Zeit vom Exzess und Schönheits-OPs ebenso begleitet wird wie von großen Gefühlen, Eitelkeiten und Eifersucht …

Steven Soderbergh ("Erin Brockovich", "Ocean's Eleven") zeigt die beiden Oscar-Preisträger Michael Douglas ("Wall Street") und Matt Damon ("Good Will Hunting") in ebenso ungewöhnlichen wie großartigen Rollen. Aufstieg und Fall der intensiven Beziehung zwischen dem US-Entertainer Liberace und dem wesentlich jüngeren Scott Thorson begeisterte das Publikum bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes, dank zweier Schauspielstars in Höchstform und einer fantastischen Glitzer- und Glamourwelt auf und hinter der Bühne, die von Oscar- Gewinner Steven Soderbergh gekonnt in Szene gesetzt wurde.


Lincoln ***

USA 2012 - 151 Min.

Regie: Steven Spielberg

Darsteller: Daniel Day-Lewis, Sally Field, Tommy Lee Jones u.a.

 

Wenige Monate nach seiner Wiederwahl Ende 1864 schlägt Präsident Lincoln seine größte Schlacht. Von seiner Partei (den damals fortschrittlichen Republikanern!) und dem eigenen Gewissen unter Druck gesetzt, den Bürgerkrieg zu beenden, will er mit der Abschaffung der Sklaverei einen Verfassungszusatz durch das Repräsentantenhaus bringen, der Frieden und die Wiedereingliederung der abtrünnigen Staaten in die Union eigentlich unmöglich macht. Doch Lincoln kämpft um jede Stimme unter seinen politischen Gegnern, ohne dabei seine Grundsätze verraten zu müssen.

Steven Spielbergs ungewöhnliche Produktion ist ein episches Kammerspiel mit verbal intensiven Konfrontationen und Diskussionen von bärtigen Männern in Plenarsälen, Privatzimmern und Büros. Äußerst zeitlos erlebt man Interessen, Intrigen, Machtspiele und Taktieren in der Politik. Leider verfällt der Film immer wieder in unkritisches Pathos und zeichnet langatmige Schlachtengemälde.


Whatever Works ****

USA, 2009 - 92 Min.

Regie: Woody Allen

Darsteller: Larry David, Evan Rachel Wood u.a.

 

Der New Yorker Professor Boris Yelnikoff verbreitet gerne seine zynische Sicht der Dinge bezüglich Religion, Beziehungen und der Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz. Nach der Trennung von seiner Ehefrau Jessica, endet ein selbstmörderischer Sprung aus dem Fenster auf einem alten Sofa. So wird er zu einem in den Tag hinein lebenden Bohemien, der sich nebenbei als Schachlehrer betätigt. Doch die jung-naive, von zu Hause weggelaufene Melodie (Evan Rachel Wood) weckt plötzlich in ihm so etwas wie Freundschaft, ja "Liebe". Ein einfaches Happy End wäre jedoch nicht akzeptabel und so kommen die Eltern von Melodie ins Spiel … Woody Allens Versuch sich selbst durch den Darsteller Larry David zu ersetzen, ist scheinbar nicht zur vollen Befriedigung ausgefallen, denn es blieb bei dem einen Mal. Dennoch ein Film, der Woody Allen als Regisseur und Drehbuchautor in lustvoller Beschäftigung mit seinen Lieblingsthemen zeigt.